Arzneimittelproduktion nach Deutschland holen.

Medikamentenmangel und Abhilfemaßnahmen.

 Ein Beitrag von Dr. Oliver Prause.

Fiebersäfte, Antibiotika, Insulin oder Krebsmedikamente waren Ende des Jahres flächendeckend kaum noch erhältlich oder komplett vergriffen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) meldete mehr als 300 Lieferengpässe bei Medikamenten. Zu Lieferengpässe kommt es immer wieder. „Im Jahr 2020 waren 16,7 Millionen Packungen Arzneimittel in Deutschlands Apotheken nicht lieferbar,“ schreibt die SZ. „Einziger Lichtblick: Es war immerhin ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr: 2019 waren es noch knapp 18 Millionen verordnete Medikamente – doppelt so viele wie im Jahr 2018, in dem auch schon eine Verdopplung im Vergleich zu 2017 zu verzeichnen war.“

Die Öffentlichkeit wurde durch Vorstände, Verbände, Politiker und Experten mit ein paar gute Ideen beruhigt. Die Ideen-Palette reichte von „Arzneimittel-Flohmärkte“ wie es der BÄK-Chef Klaus Reinhardt , Ende des Jahres vorschlug, über „Nationale Arzneimittelreserve“ – eine Idee des KV-Vorstandsvorsitzende Karsten Braun – bis hin zu nationalen Arzneimittelager mit Meldepflicht. Entgegen den Prinzipien seriöser Medikamentenentwicklung muten diese Vorschläge eher nach Symptombekämpfung als nach Ursachenforschung an.

Die Stunde der Vorratshaltung
Mit dem Blick auf leere Toilettenpapierregale zu Beginn der Pandemie zeigte sich in Deutschland eine große Lust, sich in Krisenzeiten zu bevorraten. Der KV-Vorstandsvorsitzende Karsten Braun setzt sich folgerichtig für eine „Nationale Arzneimittelreserve“ der wichtigsten Medikamente ein. Manche Experten fordern, die Hersteller zu verpflichten eine gewisse Reserve vorzuhalten und Engpässe an das BfArM zu melden. So könnte man einen besseren Überblick über wichtige Arzneimittel am Markt bekommen und bei drohenden Lieferengpässen entsprechend handeln. Die Forderungen sind nicht neu und tauchen in der politischen Debatte seit mehreren Jahren immer wieder auf. Übersehen wird dabei, dass viele Hersteller aufgrund hohen Kostendrucks ihre Lagerhaltung extrem runtergefahren haben. Der Arzneimittelgroßhandel muss Medikamente bislang nur für zwei Wochen auf Vorrat haben. Manche Politiker fordern nun, diese Fristen zu verlängern. Allerdings wird gerne dabei verschwiegen, wie diese Reserve konkret aussehen soll, wer dafür verantwortlich ist und wer sie letztendlich finanzieren soll. Darüber hinaus vergrößert sich das Verfallsrisiko, wenn Bedarfsprognosen mit der Realität zusammenprallen. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums bestätigte dem Spiegel , dass rund 4,6 Millionen Dosen der in Deutschland zentral gelagerten Corona-Impfstoffe Ende September abgelaufen sind.

Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln
Der bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege Klaus Holetschek brachte es bei seinem Besuch Anfang des Jahres bei Novartis am Standort Nürnberg auf den Punkt. „Wir werden auch in Zukunft Impfstoffe und Arzneimittel brauchen! Die Arzneimittelversorgung muss deshalb gewährleistet sein. Dafür muss die Arzneimittelproduktion in Deutschland und Europa wieder attraktiver gemacht werden.“ Ähnlich sieht das auch die FDP Politikerin Martina Stamm-Fibich, sie setzt sich für eine aktive Standortpolitik ein, um bestimmte Produktions¬stätten für Arzneimittel nach Deutschland zurückzuholen. Die Abhängigkeit von Asien haben schon Peter Altmaier und Jens Spahn erkannt. “Europa muss bei Arzneimitteln wieder unabhängiger von Asien werden”, erklärte Spahn, als er noch Gesundheitsminister war. „Wir wollen neue Lieferketten aufbauen, wir brauchen mehr Transparenz über Lieferengpässe und mehr Qualitätskontrollen.” Das war vor dem Ukraine-Krieg, vor der Energiekrise und der damit verbundenen Kostenexplosion.

Die Arzneimittelproduktion findet aus Kostengründen größtenteils in Fernost statt. Arbeitsbedingungen werden dort ebenso wie Umweltstandards nicht so großgeschrieben wie in Europa. Was das konkret heißt, beschreibt die SZ: „Mittlerweile werden mehr als 80 Prozent aller medizinischen Wirkstoffe in China und Indien hergestellt. Und von 500 verschreibungspflichtigen Medikamenten, die das BfArM als “versorgungsrelevant” einstuft, werden 300 nach Angaben der Behörde von drei oder weniger Unternehmen produziert. Manche Wirkstoffe haben nur einzelne Produzenten – so wie bei dem Antibiotikum Piperacillin, das zum allergrößten Teil in einer einzigen Fabrik in Ostchina hergestellt wird. Als es in dieser im Jahr 2016 einen Unfall gab, war weltweit kaum noch Piperacillin zu bekommen. Und der Blutdrucksenker Valsartan, international ein absoluter Kassenschlager, fiel monatelang aus, als die gesamte Produktion eines chinesischen Werkes mit krebserregenden Substanzen verunreinigt war.“

Medikamentenproduktion lohnt sich nicht in Deutschland 
Wenn es um die Behandlung von Krebs, Rheuma und Diabetes geht, werden in Deutschland vor allem Generika verordnet – Nachahmungen von Produkten, deren Patentschutz abgelaufen ist. Sie unterliegen strengen Instrumenten zur Kostendämpfung, sparen den Krankenkassen und ihren Versicherten so jährlich Milliarden. Doch immer weniger Unternehmen haben ein Interesse daran, so billig zu produzieren. Für die Tagesdosis Tamoxifen erhalten sie von den Krankenkassen nicht mal mehr neun Cent erstattet. Das Medikament ist seit 1976 auf dem Markt und zur Rückfall-Prophylaxe bei Brustkrebs unentbehrlich. Tamoxifen ist letztes Jahr in die Schlagzeilen geraten als es wochenlang nicht lieferbar war. Mehrere Zulieferer hatten entschieden, aus der Produktion auszusteigen. Eine Entwicklung, die sich schon seit Jahren zuspitzt: Gab es 2006 noch 19 Firmen, die Tamoxifen herstellten, sind es mittlerweile nur noch drei mit nennenswertem Marktanteil. Die Antwort der Politik wie sich dieser Exodus stoppen lässt, steht noch aus.

Teva ist mit seiner Arzneimittelmarke „ratiopharm“ der letzte große Anbieter von Paracetamol-Saft in Deutschland. Während aktuell ein Hersteller nahezu die gesamte Versorgung in Deutschland sicherstellen müsse, habe es vor zwölf Jahren noch elf Anbieter flüssiger Paracetamol-Zubereitungen gegeben. Laut Branchenverband verharren die Festbeträge, die für die Medikamente gezahlt werden, seit zehn Jahren auf demselben Niveau. Gleichzeitig stiegen jedoch die Preise für Energie, Logistik und Wirkstoffe. „Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionspreise bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Paracetamol-Säften zum Verlustgeschäft”, klagt Andreas Burkhardt, Generalmanager beim Pharmakonzern Teva.

In gleicher Weise wird Ende Dezember 2022 in der Pressemitteilung der „Sanacorp“, einem genossenschaftlich organisierten Pharma-Großhandelsunternehmen, darauf hingewiesen, dass „die Kosten fokussierte Gesundheitspolitik in den vergangenen Jahren hat dazu geführt, dass die wirtschaftliche Produktion vieler Arzneimittel in Deutschland und Europa nicht mehr möglich ist. Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, ergänzt diese durch seine Aussage „Es gibt zu wenige Anbieter solcher Mittel, weil die Festpreisregelung bei uns zu einem Abwandern der Produktion in Billiglohnländer wie Indien und China geführt hat,” sagt aber gebe es Lieferkettenprobleme, was wiederum zu Lieferengpässen führe.

„Die Bundesrepublik sei aktuell ein unattraktiver Markt für Medikamente,“ stellte jüngst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angesichts fehlender Kinderarzneimittel fest. „Bei den niedrigen Einheitspreisen lohne es sich für Hersteller oft nicht, diese zu produzieren. In diesem Bereich haben wir es mit der Ökonomie übertrieben”, so Lauterbach. „Wir müssen Arzneimittel für Kinder aus den Festbeträgen rausnehmen, sodass sie teurer verkauft werden.“ Er will die Krankenkassen anweisen, 50 Prozent mehr als den Festbetrag zu zahlen. Dann würden diese Medikamente auch in Deutschland verkauft, zeigte sich Lauterbach überzeugt. Ob dies zu einer Renaissance der Arzneimittelproduktion in Deutschland führen wird, darf bezweifelt werden.

Nachhaltige Rahmenbedingungen schaffen
Die Entwicklung eines Arzneimittels dauert bis zu zwölf Jahre, ist unsicher und teuer – aus mehr als 5.000 möglichen Substanzen schafft es gerade eine bis zur Zulassung als Arzneimittel, schreibt der vfa. Der Forschungsstandort Pharma benötigt daher verlässliche gesetzliche und ökonomische Rahmenbedingungen, damit pharmazeutische und biotechnologische Unternehmen ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung auch in Deutschland vornehmen wollen. Dies umfasst ein innovationsoffenes Klima und eine investitionsfreundliche Wirtschaftspolitik. Die Politik ist hier gefordert die entsprechenden Rahmenbedingungen für einen attraktiven Produktionsstandort zu schaffen. Welche das sind zeigt die Unternehmensbefragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) und des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa).

In der Sanacorp Pressemitteilung heißt es zudem, es braucht „eine tragfähige Finanzierung entlang der gesamten Versorgungskette – von der verlässlichen Herstellung innerhalb der EU, über den Großhandel bis hin zur Apotheke“.

Damit Deutschland als Forschungs- und Produktionsstandort wieder attraktiv wird und so die Produktion wichtiger Arzneimittel im eigenen Land sicherstellen kann muss mehr getan werden, als dies bis dato der Fall ist. Nur an der Rabattschraube zu drehen reicht nicht aus und die Bürger werden sich kein zweites Mal mit leeren Versprechungen vertrösten lassen, wenn es wieder heißt: Leider nicht lieferbar!

Wie ist Ihre Meinung dazu? Wir sind neugierig, schreiben Sie uns und lassen Sie uns darüber sprechen.

Dr. Oliver Prause

Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung – infpro.