Deutschlands Abhängigkeit.
Strategische Fehler werden zur Gefahr für den Standort.
Ein Beitrag Prof. Dr. Constantin May.
Deutschland hatte es sich bequem gemacht in einer globalisierten Welt, bei der die Wertschöpfung auf dem ganzen Globus verteilt ist. Für eine exportorientierte Nation bringt ein freier Welthandel zweifelsohne viele Vorteile – jedoch darf sich ein Staat in systemkritischen Bereichen nicht abhängig machen. Er wird sonst erpressbar und genau das erleben wir gerade.
Deutschland hat bei fossilen Energieträgern eine fatale Abhängigkeit von Russland entwickelt. Der Anteil russischer Importe an den deutschen Gasimporten liegt bei etwa 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent. Die Hoffnung auf „Wandel durch Handel“ ist durch den Krieg in Europa in kürzester Zeit zerstört worden. Das Gleiche gilt für die speziell deutsche Ausprägung der Energiewende mit Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke.
Wenn wir die Abhängigkeit von weltweiten Rohstoffmärkten reduzieren wollen, müssen wir an unserer Autonomie arbeiten. Nun wird häufig argumentiert, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Autonomie von fossilen Energieträgern bringen würde. Diese Argumenta- tionsweise blendet einige wichtige Fakten aus: Zum einen decken erneuerbare Energien derzeit nur ca. 17 % des Primärenergiebedarfs Deutschlands und ein nennenswerter, kurzfristiger Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht absehbar. Zum anderen müssten annähernd so viel Gaskraftwerke aufgebaut werden, wie an erneuerbaren Energien bereitgestellt werden, um ein Backup für Zeiten von Dunkelflauten zu haben. Der Aufbau dieser Doppelstrukturen würde die sowieso schon weltweit höchsten Strompreise in Deutschland weiter in die Höhe treiben und die Abhängigkeit von russischem Gas erhöhen. Die einzigen zuverlässigen Energiequellen, auf die Deutschland mehr oder minder autonom zugreifen kann, sind Kohle- und Atomkraftwerke. Will sich Deutschland energiepolitisch unabhängig machen, führt kein Weg daran vorbei, diese Energiequellen bis auf weiteres zu nutzen.
Auf dem Weg zur Kohlenstoffneutralität sind viele „grüne“ Technologien erforderlich, wie z. B. Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzellen sowie Elektromotoren als Fahrantrieb und für Turbinen. Diese Technologien erfordern jedoch wichtige Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Titan und Seltene Erden. Der Weltmarkt für diese Stoffe wird von China dominiert. Dieser Weg birgt die Gefahr, aus einer Abhängigkeit in die nächste zu rutschen.
Neben der energetischen Abhängigkeit hat sich Deutschland durch falsche strategische Entscheidungen in eine Vielzahl weiterer Abhängigkeiten begeben. Ich will hier nur einige nennen:
• Abhängigkeit von ausländischen LKW-Fahrern, Facharbeitern und Handwerkern.
• Abhängigkeit von Medikamenten und Medizinprodukten, die überwiegend in Fern-Ost produziert werden.
• Abhängigkeit von Halbleitern, die überwiegend in Fern-Ost hergestellt werden.
• Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten bei wichtigen Zukunftstechnologien wie zum Beispiel 5G.
Aufgabe der Politik muss es jetzt sein, diese Abhängigkeiten zu bekämpfen und dadurch den Industriestandort Deutschland zu sichern. Ob dies gelingt, ist fraglich. Aber manchmal reicht ein singuläres Ereignis, um ein komplettes Argumentationsgebäude einstürzen zu lassen. Es bleibt also spannend.
Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um die beschriebenen Abhängigkeiten zu beseitigen? Schreiben Sie mir, schreiben sie uns.
Prof. Dr. Constantin May
Professor May lehrt und forscht seit 1999 im Bereich Produktionsmanagement und Logistik an der Hochschule Ansbach. Als Academic Director prägt er die Erfolgsgeschichte des CETPM seit dessen Gründung im Jahr 2005 und setzt sich für den Erhalt der Wertschöpfung am Standort Deutschland ein.
Prof. Constantin May ist Vordenker, vielfacher Buchautor, Verleger des Deutschen Management Verlags sowie gefragter Redner im In- und Ausland. Und er ist Mitglied im wissenschaftlichen Kuratorium von infpro.
E-Mail: constantin.may@cetpm.com
Webseite: cetpm.de