Europa im Aufwind.

Ein Kommentar von Dr. Christian Artmann zum aktuellen Deloitte CFO Survey.

 

 Darum geht es. 

Der aktuelle Deloitte CFO Survey reflektiert die Einschätzungen und Erwartungen von CFOs deutscher Großunternehmen zu makroökonomischen, unternehmensstrategischen und finanzwirtschaftlichen Themen.

Eines davon behandelt die “Implikationen der Geopolitik” und hierzu schreiben die Experten von Deloitte: “Die globalen Auswirkungen der Corona-Pandemie, des Kriegs in der Ukraine und der Lockdowns in China zwingen die Unternehmen dazu, geopolitischen Risiken eine viel höhere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Erhebung zeigt, dass entsprechende Konsequenzen gezogen werden. 19 Prozent der Unternehmen wollen geplante Auslandsinvestitionen aufschieben. Besonders ausgeprägt ist dies im Maschinenbau (35 %) und in der Chemiebranche (27 %). Allerdings reagieren nur 6 Prozent mit einem völligen Stopp geplanter Auslandsinvestitionen.

Geographisch betrachtet geht der Trend zum Friend- und Re-shoring. 70 Prozent der Unternehmen wollen in den kommenden 12 Monaten verstärkt in Deutschland investieren. Verglichen zu den Ergebnissen von vor vier Jahren haben die Standorte China (minus 12 %) und Südostasien (minus 5 %) stark an Popularität eingebüßt, während Deutschland (plus 7 %) sowie West- und Osteuropa (plus 7 bzw. 6 %) am stärksten zulegten. Auch Mittel- und Südamerika (plus 5 %) sowie Nordamerika (plus 2 %) profitierten.

Welche strategischen Maßnahmen nehmen die Unternehmen in den Blick, um die geopolitischen Risiken besser zu managen? Besonders wichtig ist laut der Erhebung die Diversifizierung der Lieferketten (48 %) sowie besseres Monitoring geopolitischer Risiken (40 %) und eine stärkere Integration von geopolitischen Faktoren in Strategieentscheidungen (40 %). In geringerem Umfang wird auch eine Re-Lokalisierung der Lieferketten geplant (21 %) sowie ein Rückzug aus geopolitisch besonders riskanten Märkten (19 %) und eine verstärkte regionale Eigenständigkeit internationaler Unternehmenseinheiten (18 %).”

 

 

Der Kommentar von Dr. Andreas Artmann

 

Deloitte und andere renommierte Beratungshäuser publizieren aktuell die Reaktionen der Unternehmen auf die Veränderungen durch Klima, Krieg und geopolitische Umbrüche. Dazu möchte ich einige Punkte anmerken, die ich aus meiner aktuellen Arbeit mit kleineren und mittelständischen Maschinen-, Anlagenbau- und Messtechnik-Unternehmen gemacht habe.

  • Statt Verlagerung von Produktion beobachte ich den verstärkten Ausbau von multiplen Strukturen im Sinne von teilautonomen Mehrknoten-Produktions-Systemen an parallelen, absatzmarktnahen Standorten. Das gab es schon immer, wird aber jetzt wesentlich aktiver angegangen.
  • Statt der über viele Jahre propagierten Lieferantenreduktion, schwingt es um in eine Differenzierung im Sinne von parallelen Lieferanten und Dienstleistern. Viele Unternehmen hatten dies für kritische Teile und Dienstleistungen schon länger, jetzt ist ein breites Thema für alle.
  • Statt mehr Investitionen in Deutschland, steigt die Gewichtung der strategischen Energiesituation und die politische Embargostabilität in der Priorisierung von Standorten an. Das kann je nach Branche zu sehr verschiedenen Schlussfolgerungen führen.

Was bedeutet dies in der Praxis:

  • Die Komplexität der operativen Unternehmenssteuerung nimmt erheblich und besonders kurzfristig zu. Es belastet die Teams.
  • Die Organisation bis hin zu der IT-Infrastruktur vieler Mittelständer sind dafür oft nicht ausgestattet.
  • Unternehmen haben aus Gründen der Versorgungssicherheit die Bestände / Kontrakte zum Teil erheblich erhöht, was zusammen mit den gestiegenen Kapitalkosten die Finanzierung von wichtigen Zukunftsthemen belastet und bei einer Erholung der Lieferketten ein Risiko darstellt.

Mögliche Gegenmaßnahmen

  1. Produktionssysteme sollten noch schneller auf noch kleinere und flexible Losgrößen hin optimiert werden (d.h. Planungshorizonte anpassen, verstärkte Rüstoptimierung, Anpassen von Abläufen, Routinen, Parametern bis hin zur Anpassung der Maschinen-, Anlagen-, Logistikparks).
  2. Die Beschaffung, Logistik und Produktion muss systematisch verlagerungsfähig gemacht werden (d.h. das implizite Detailwissen Einzelner muss in ein systematisches Wissen und Können des Unternehmens angehoben werden, Stichwort „Standard Work“).
  3. Die Sensibilisierung und Fortbildung der Teams in Richtung multikulturelle Zusammenarbeit, prozessstabiles Arbeiten und verbessertem gesamthaften Verständnis der Leistungskette muss ausgebaut werden.

Einzelaspekte die berücksichtigt werden sollten:

  1. Der Bedarf an Maschinen, Anlagen und Qualitätsmanagement und an das Produktionssystem für kleinere und variable Losgrößen wird massiv ansteigen.
  2. Die Veränderung der Anforderungen an die gesamte Leistungskette auf noch mehr Energieeffizienz und Rohstoffeffizienz wird dramatisch beschleunigt. D.h. das Thema Sensorik und Digitalisierung wird noch schneller noch relevanter.
  3. Die Bedeutung der Auslegung der Bedienbarkeit auf weniger fachkundiges Personal nimmt erheblich zu.
  4. Die vereinfacht Servicefähigkeit an unterschiedlichen Standorten wird ein wesentliches Differenzierungsmerkmal, zusammen mit dem Bedarf an geografisch dezentral verfügbarem technischen Kundenservice.

Dr. Chrstian Artmann

Senior Advisor and interim manager for operative restructuring and performance improvement, expert for implementation of Hoshin Kanri and related management development.

Dr. Christian Artmann ist Senior Advisor im Bereich Turnaround & Restructuring bei Deloitte in München mit Fokus auf Performance Improvement. Seine langjährige Expertise liegt insbesondere in den Bereichen Verkauf, Marketing, Service, sowie Innovation und Produktentwicklung.