Materialalternativen zu Force-Majeure-Kunststoffen? 

Ein Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Stefan Schmidt.

Das Jahr 2022 ist gezeichnet von Rohstoffverknappungen, wie noch nie. Seit Ende 2020 jagt eine Force-Majeure-Meldung die nächste. Diese beschränken sich nicht mehr nur auf PA 6.6, wie zuletzt 2018, sondern auf diverse Kunststoffsorten, wie PE (-LD wie –HD), PP, ABS, SAN, PA6, PA 6.6, PBT, sowie entsprechende Vorprodukte und Additive, aktuell besonders Kurzglasfasern.

Die Gründe sind vielfältig. Natürlich hat auch hier die Corona-Pandemie die Finger mit im Spiel, aber sie ist nicht der einzige Grund. Durch die weltweiten Lockdowns während der Pandemie sind an einigen Stellen Waren nicht produziert und Anlagen heruntergefahren worden. Eine Wiederanfahrt solcher Produktionsanlagen, die normalerweise nicht stillstehen, funktioniert nicht immer reibungslos. Zudem wurde durch die Pandemie der global vernetzte Handel gestört. Leere Container standen an Orten, an denen sie nicht benötigt wurden und fehlten umgekehrt an anderer Stelle. Vorratsorientierte Lagerungssysteme gibt es kaum noch. Und kommt das ausgeklügelte Liefersystem ins Stocken, resultieren schnell Verknappungen. Aber die Corona-Pandemie ist nicht alleine schuld an der aktuellen Situation, sondern auch Extremwettereinflüsse (Überschwemmungen in Deutschland und der Wintereinbruch im Februar 2021 in den USA), regionale Nachfrageschwankungen oder die Blockade des Suez-Kanals im März 2021.

In dieser Situation stellen sich viele die Frage: Woher bekomme ich Material, um die Produktion weiter aufrecht erhalten zu können? Kann der eigene Rohstofflieferant nicht liefern und lassen es die Vertragsklauseln zu, kann man über alternative Materialien nachdenken.

Zuerst besteht die Möglichkeit zu recherchieren, welche anderen Rohstoffhersteller und deren Handelstypen gleicher Polymersorte und ähnlicher Additivierung im Markt existent sind, die näherungsweise ähnliche Materialeigenschaften aufweisen. Sofern die Bauteilzeichnungen nicht auf eine bestimmte Handelstype spezifiziert sind, könnte man
versuchen, auf diesem Weg zu neuem Material zu kommen und die anschließenden Bauteilqualifizierungen infolge eines Materialwechsels geringer zu halten.

Das Kunststoff- Institut Lüdenscheid kann hier mit Recherchen und Bauteilprüfungen unterstützen. Ein anderer Ansatz wäre über einen kompletten Wechsel der Polymersorte nachzudenken, wenn entweder abzusehen ist, dass die Materialverknappung sich in näherer Zukunft nicht entspannen wird oder immer wieder auftreten könnte, oder man
gleichzeitig schon angedachte Eigenschaftsoptimierungen umsetzen möchte, z.B. in Richtung zusätzlicher Materialeigenschaften oder mehr Nachhaltigkeit. In diesem Fall müsste ein bestehendes Bauteil komplett neu qualifiziert werden, was einen entsprechenden Zeit- und Kostenaufwand nach sich zieht.

Entschließt man sich diesen Weg zu gehen, ist eine systematische Herangehensweise sinnvoll. Das Kunststoff-Institut Lüdenscheid bietet die Möglichkeit zunächst über Checklisten die Anforderungen an ein Produkt zu fixieren und anschließend ein Anforderungsprofil zu erstellen. Anhand festgelegter Anforderungen wird dann über die allg. Literatur nach geeigneten Polymersorten und im Anschluss daran über Materialdaten-banken nach entsprechenden Handelstypen recherchiert. Die generelle Verfügbarkeit und eventuell fehlende Materialeigenschaften versucht man dann über Kontaktaufnahme zu den jeweiligen Rohstoffherstellern zu verifizieren.

 

Dipl.-Ing. Stefan Schmidt

Geschäftsführung Institut für Kunststoff-Institut Lüdenscheid

Nach dem Studium der Kunststofftechnik in Stuttgart und Iserlohn wechselte Herr Schmidt 1989 zum Kunststoff-Institut Lüdenscheid, welches zu diesem Zeitpunkt gegründet wurde. Herr Schmidt baute in dieser Phase die CAE Abteilung für rheologische und thermische Simulationsberechnungen auf, bevor er in den Bereich der Werkzeug und Verfahrenstechnik wechselte, um firmenspezifische Projekte in der Industrie abzuwickeln. In dieser Zeit hat Herr Schmidt mit über 140 Firmen der Kunststofftechnik in ganz Europa praxisnahe Entwicklung und Prozessoptimierung betrieben. Von 1997 bis 2000 wechselte er zur Fa. Klöckner Moeller in Bonn und betreute die 10 spritzgießverarbeitenden Betriebe des Unternehmens.

Kunststoff-Institut Lüdenscheid (KIMW GmbH)
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