Wohin geht die Produktion?

 Ein Beitrag von Andreas Lugert und Lothar Dörr. 

In ihrer Ausgabe vom 7.9.2022 beschwört die SZ das „Gespenst der Deindustrialisierung“ herauf und prophezeit einen regelrechten Exodus produzierender Unternehmen aus Deutschland, gekrönt von zahlreichen Insolvenzen hierzulande. Auch die Deutsche Bank sieht Anzeichen für eine Deindustrialisierung und blickt pessimistisch auf den Industriestandort Deutschland. Im aktuellen Deutschland-Monitor heißt es dazu: „Wir erwarten, dass diese Indikatoren in den nächsten Monaten weiter sinken, wobei die energieintensiven Sektoren besonders betroffen sein werden. Hohe Gas- und Strompreise, eine weltweite Konjunkturabschwächung und eine schlechtere wirtschaftliche Stimmung, die auf die Investitionsneigung drückt, sind und bleiben die Hauptfaktoren für den erwarteten Einbruch.“

„Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die gegenwärtige Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten.“ 

Deutsche Bank Research: Deutschland Monitor Oktober 2022

Keine rosigen Aussichten für den Produktionsstandort Deutschland.  Droht am Ende gar ein  „Factory Exodus“ wie es das News-Portal Bloomberg prognostiziert? Selbst das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass die Entwicklung der Energiepreise zu vermehrten Investitionen im Ausland führen wird. Doch wohin geht die Reise der deutschen Industrieunternehmen, welche Länder locken mit welchen Versprechungen? Und was muss jetzt getan werden, um diese Entwicklung zu stoppen und die Produktion in Deutschland zu halten? 

 

 

Ist China out?

Lange Zeit galt China geradezu als das Mekka für eine wirtschaftliche Produktionsverlagerung, zu Lasten der Wertschöpfungstiefe in der DACH-Region. Doch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und damit einhergehende politische Sanktionen sowie moralische Bedenken haben vielerorts zu abrupt versiegten Lieferketten geführt und sorgen hierzulande seit diesem Jahr erstmals wieder für ein Umdenken. Denn China gilt aufgrund seiner restriktiven Zero-Covid-Politik, der zufolge Fabriken und ganze Metropolregionen auf unbestimmte Zeit kurzfristig hermetisch abgeriegelt werden, sowie der angespannten politischen Situation im Hinblick auf Taiwans Unabhängigkeit eben auch nicht mehr als uneingeschränkt zuverlässiges Partnerland. Doch zurück zur Frage: Ist China out? Ein Jein wäre hier wohl die richtige Antwort, um es mit den Worten unseres Kanzlers vor seiner Chinareise zu sagen: „China bleibt auch unter veränderten Vorzeichen ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für Deutschland und Europa. Wir wollen kein „Decoupling“, keine Entkopplung von China.“  Die 12 Unternehmen, die mit Scholz den 11 Stunden Trip nach China mitgemacht haben, werden es sicherlich genauso sehen. Zumal viele DAX-Konzerne ihre Präsenz in China sogar weiter ausbauen, wie das Handelsblatt berichtet.

Und Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) wird im Deutschlandfunk mit den Worten zitiert: „Ohne China wird Deutschland zusätzlich ärmer werden.“ Doch es gibt auch Unternehmer wie Wolf Matthias Mang, selbst Familienunternehmer und hessischer Unternehmerpräsident, der das Thema treffend auf den Punkt bringt: „Es gibt ja nicht nur China, Russland und die USA, sondern viele weitere interessante Länder. Globalisierung neu gestalten heißt, hier wieder kreativer zu werden“. Doch allzu kreativ ist die Suche derzeit eher nicht. Denn welche echten Alternativen bieten sich zu China an. Wohin können Produktionsstandorte und Supply Chains mal schnell verlegt werden? Zugegeben, die wirtschaftliche Lage ist für viele Unternehmen gerade schwierig. Und ja, es gibt auch Unternehmen, die darüber Nachdenken ins Ausland zu gehen. Zu Recht, denn angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation, der hohen Inflation und einer möglichen Rezession müssen alle Optionen auf den Tisch und geprüft werden. Bleiben oder Gehen? Das ist die Frage, die sich auch die SZ in dem Beitrag „Warum Abwandern aus Deutschland der falsche Weg wäre“ gestellt hat. „Wohin soll die Produktion verlagert werden?“ Die Antwort fällt ernüchternd aus: „In fast allen Ländern Europas sind die Probleme ähnlich, auch dort ist Energie zuletzt deutlich teurer geworden. Dafür ist die politische Lage manchmal deutlich volatiler, wie sich derzeit in Italien oder in Großbritannien zeigt. Produktionsverlagerungen nach China sind auch problematisch, will die deutsche und europäische Wirtschaft die Abhängigkeit doch eher reduzieren. Also wohin überhaupt gehen? Viele entscheiden sich für die USA. BMW etwa investiert gerade viel Geld in sein Werk in Spartanburg und baut eine neue Batteriefabrik, vor allem jedoch, um den dortigen Markt besser zu bedienen. In den USA ist zwar Energie billiger, Mitarbeiter sind aber schlechter ausgebildet und die politische Lage unsicher. Welche Agenda wird ein möglicher Nachfolger von US-Präsident Joe Biden verfolgen?“

Go West – USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten?

Als neue, aber bewährte Alternative bieten sich also die USA an, insbesondere, da die Energiekosten für Unternehmen dort um ein vielfaches niedriger sind als in Deutschland (vgl. Handelsblatt vom 29.9.2022), drängen sie sich regelrecht als Industriestandort auf. Doch aktuelle finanzrechtliche Hürden beenden etwaige Gedankenspiele schnell, wie Prof. Seibt, Gesellschaftsrechtler und einer der kreativsten Wirtschaftsanwälte Deutschlands im Manager Magazin  ausführt: Intensive Prüfungen durch die US-Investitionskontrolle CFIUS, eine von Demokraten und Republikanern in bemerkenswerter Eintracht initiierte Gesetzesreform bezüglich Investitionsvorhaben von in den USA ansässigen Unternehmen oder Tochterunternehmen in China sowie mögliche Konflikte zwischen US- und EU-Recht bzw. Normen hinsichtlich der unterschiedlichen Dekarbonisierungsziele. Einfach klingt anders. Und eine weitere Hürde muss genommen werden. Wie der Focus berichtet treiben Republikaner und Demokraten eine neue Gesetzreform voran, die bald in Kraft treten könnte. Der „National Critical Capabilities Defense Act“ soll u.a. Unternehmen unter die Lupe nehmen, die auch in China aktiv sind. Und das trifft wohl auf die allermeisten deutschen Unternehmen zu. „Wer dort in bestimmten Bereichen investiert,  muss laut Focus das auch in den USA anmelden. Das gilt zum Beispiel für Bereiche wie Medikamente, künstliche Intelligenz, Halbleiter, Batterietechnik. Also alles Sektoren, in denen deutsche Firmen sehr aktiv sind.

Warum nicht in Deutschland bleiben?

Manager mittelständischer Unternehmen zumindest dürften in den letzten Monaten stabile und zuverlässige Lieferantenbeziehungen vor der Haustüre mehr zu schätzen gelernt haben als jemals zuvor. Die Einkaufspreise sind dabei manchmal zweitrangig, solange überhaupt produziert werden kann. Und Alternativen für eine Verlagerung der eigenen Produktion in unserer von Krisen erschütterten Welt sind nicht offenkundig.

Doch Deutschland muss einiges unternehmen, um das Vertrauen der Investoren und Industrie  wieder zu gewinnen. Denn das ist inzwischen weg, wie das Handelsblatt berichtet. Der Wirtschaftsstandort Deutschland verliert bei ausländischen Investoren deutlich an Attraktivität. „In einer aktuellen Umfrage der amerikanischen Handelskammer in Deutschland bewerten die 50 größten in der Bundesrepublik tätigen US-Unternehmen den Standort nur noch mit der Note 2,7 – vor zwei Jahren hatten sie noch im Schnitt eine 1,9 vergeben. Vor allem die Verwerfungen auf dem Energiemarkt durch den Konflikt mit Russland schrecken die Investoren ab: Die hohen Energiepreise und die Furcht vor ausbleibenden Gaslieferungen gefährden Investitionen in Deutschland.“  Die Bewertung der US-Manager für den Standort Deutschland passt in die politische Agenda, denn es ist kein Zufall, dass sich die USA zeitgleich sehr um deutsche Unternehmen bemühen, und mit niedrigen Energiepreisen  und Steuern locken.

Manche Sorgen mögen berechtigt sein und man muss die  Standortfrage auch nicht schön reden. Denn wie die SZ so richtig schreibt: „Um als Standort attraktiv zu bleiben, muss einiges geschehen. Bürokratie abbauen, Genehmigungsverfahren beschleunigen, in die Infrastruktur investieren, die Energiewende vorantreiben – das sind nur einige Punkte.“ Die Liste der Mängel und Defizite, die so manches krisengebeuteltes mittelständisches Unternehmen hier aufführen könnte, wäre  sicherlich um einiges länger. Aber Deutschland hat es selbst in der Hand, seine führende Wettbewerbsstellung wieder zu erreichen. Doch der deutsche und europäische Glauben an die „unsichtbare Hand“ von Adam Smith, die indirekt Wohlstand für alle schafft, wenn auch nicht für alle gleich, hilft hier nicht weiter, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Was helfen würde wäre eine gemeinsame europäische und deutsche Wirtschaftsstrategie, die die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen neu setzt und unsere wirtschaftlichen Interessen schützt und nicht behindert. Genauso wie die Amerikaner und Chinesen ihre wirtschaftlichen Interessen schützen. Dafür setzt sich das Institut für Produktionserhaltung ein.

Andreas Lugert

Head of Operational Excellence – Lean & Consulting Liebherr Group

Lothar Dörr

Kommunikationsexperte und Geschäftsführender Gesellschafter der  Comchanger GmbH