Starke Lieferketten für eine starke deutsche Wirtschaft.

 Ein Beitrag von Professor Dr. Jörg Lux.

In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Deutsche Wirtschaft intensiv weiterentwickelt. Fokussierung auf Kernkompetenzen, die Erschließung der internationalen Märkte und innovative Technologien haben unsere Position als Exportnation gefestigt und ausgebaut. Alles auf Basis stabiler internationaler Handelsbeziehungen und logistischer Fähigkeiten, welche die globale Supply Chain wie ein Uhrwerk laufen zu lassen.

Was jetzt dringend umgesetzt werden muss

Doch heute ist vieles anders. Erst kamen Handelsrestriktionen durch eine Welle von Zöllen der Trump-Administration, flankiert vom Brexit in Europa. Bereits das waren empfindliche Störungen für existente Lieferketten. Dann kam 2020 Corona. Lockdowns mit Produktionsausfällen und blockierten Häfen über den gesamten Globus hinweg waren die Konsequenz. Noch heute sind hier die Folgen sichtbar und dauern auch an. So sehen wir immer wieder die Schließung von Hafenterminals in China oder auch Schiffstaus, etwa vor Shanghai, in der Nordsee oder den USA.

Als wenn das noch nicht genug wäre, kommen zu den Corona-Störungen auch noch jetzt die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs hinzu. Direkte Kriegsfolgen sind etwa zerstörte Produktionskapazitäten, wie z.B. das Stahlwerk von Mariupol oder ausgebombte Fabriken und Infrastruktur. Entsprechende Folgen sind Lieferausfälle wie etwa Kabelbäume oder auch der Ausfall von Stahlkapazitäten. Die Sanktionspolitik gegen Russland hat ebenfalls dramatische Rückkopplungen auf die hiesige Industrie. Explodierende Energiepreise und gestörte Rohstoffmärkte sprechen für sich.

So veröffentlichte kürzlich das DIW (vgl. n-tv vom 15.12.2022), dass Deutschland bei 14 von 30 als besonders kritisch eingeschätzten Rohstoffen zu 100% von Importen abhängig ist – und das auch noch von schwierigen Ländern wie China, Russland und anderen autokratischen Staaten. Die heile Welt der schlanken Deutschen Industrie ist im Ergebnis signifikant gestört. Ferner ist nicht damit zu rechnen, dass wir wieder in den alten Zustand der Stabilität zurückkommen. Daher besteht Handlungsbedarf auf allen Ebenen der Supply Chain um Souveränität, Lieferfähigkeit und Flexibilität zurück zu gewinnen.

Der generelle Aufruf  „Sofort raus aus China“ ist zu platt und muss taktisch eingeleitet werden. Um auch in Zukunft bestehen und wachsen zu können zeichnen sich sechs zentrale Stellhebel ab, die es anzupacken gilt. Wir sehen hier folgende Schwerpunkte:

1. Zur Absicherung der Sourcing Quellen braucht es mehr Transparenz in der Beschaffung: Hier sollten wir die Chancen der Digitalisierung nutzen. Daten über Nachfrage und Verfügbarkeiten sind zu tracken, so das Shortages und Preisentwicklungen in realtime sichtbar werden. Erst das ermöglicht schnelles Handeln, wenn es darauf ankommt.

2. Auf Basis dieser Transparenz benötigen wir dann eine neue Agiltität in der Beschaffung: Wir nutzen durch Multiple Sourcing und Materialstandards günstige Kaufimpluse zur „Best Time“ mit „Best Price“ und sichern Kapazitäten über Hedging für die Zukunft ab – regional und global im richtigen Mix. Die stabilen „Sourcingrhythmen“ weichen also dynamischen Marktaktivitäten in Bezug auf Mengen und Kaufzeitpunkte.

3. Dort, wo es trotz Transparenz und agilem Handeln in Schlüsseltechnologien bei zu großen Abhängigkeiten von Lieferanten bleibt, z.B. in Asien, ist eine Re-Regionalisierung der Supply-Chain einzuleiten. Das stärkt Kundennähe, Lieferfähigkeit und Flexibilität – wenn auch zu höheren Kosten. Hier toppt aber die stabile Lieferfähigkeit die Kosteneffizienz. Denn nur wer lieferfähig bleibt, bleibt auch im Markt.

4. Immer dann, wenn strukturelle Regionalisierungsveränderungen anstehen, lohnt sich ein Blick auf die make-or-buy Entscheidungen des Unternehmens. Das Re-Design der Fertigungstiefe wird zu einem strategischen Erfolgsfaktor von Unternehmen. Hier ist ein neues Maß zu entwickeln: Wir erhöhen unsere Fertigungstiefe, wo es uns Resilienz bringt und stärken so unsere Lieferfähigkeit durch Reduktion von Abhängigkeiten.

5. Bestandsoptimierung und „Null-Bestände“ waren Treiber des SCM in stabilen Zeiten. Dieser Ansatz muss in seiner „Absolutheit“ überdacht und relativiert werden. Es braucht ein Bestandsmanagement 2023+: Dabei denken wir Bestände und Kosten neu. „Lean Inventory Management“ wird zu „Risk-Based-Inventory Management“. Grundsätzlich mit den Methoden des Lean Managements schlank geführt, aber mit ordentlichem Bestand im Risikomaterial. Das kostet natürlich Geld, berücksichtigt aber das Risk-Balancing für jederzeitige Lieferfähigkeit.

6. Die Internationalen Störungen der Lieferwege setzen neue Rahmenbedingungen für die Logistik und den zuverlässigen Güterverkehr.

• Bleiben Seewege jederzeit offen?
• Wird von Russland die Nordpassage blockiert?
• Wie gut bleibt die neue Seidenstrasse verfügbar?
• Welche Störungen durch Blockaden und Piraterie sehen wir im nördlichen Afrika oder in Südchinesischen Meer?
• Werden Häfen durch chinesische Besitzhoheit immer verfügbar sein?

Fragen die aktuell sind, die niemand zuverlässig beantworten kann und die in ihrer Konsequenz jederzeit eintreffen können. Daher braucht es auch bei der Planung und Implementierung der betrieblichen Logistikaufgaben eine neue Agilität: Unsere Transport- und Lagerketten sollten mit der beschriebenen Dezentralisierung weiter diversifiziert und flexibilisiert werden. Damit können wir regionale Probleme kurzfristig abfedern und bleiben lieferfähig. Lieferservice und -flexibilität wird zu einen noch wichtigeren Erfolgsfaktor als sie es heute schon sind.

Mit den genannten 6 Handlungsschwerpunkten gehen wir das Supply-Chain-Management für die Zukunft neu an. Einzelne Maßnahmen der Optimierung werden für sich nicht mehr ausreichen. Hier braucht es ein komplexes Gesamtpaket. Nur das wird am Ende Wirkung entfalten. Im Ergebnis rücken so auch die Bereiche Produktion, Beschaffung und Logistik immer näher zusammen. Das sollte auch Folgen für ein integriertes Management dieser Bereiche im „Funktionsteam“ nach sich ziehen. Wenn wir dies noch mit gezielten Methoden des Lean Managements kombinieren, werden nicht nur die Firmen kostenresistenter, sondern auch der Standort Deutschland wird volkswirtschaftlich davon profitieren.

Wir haben so alle Möglichkeiten, um uns auf unsere neuen Rahmenbedingungen einzustellen. Dafür brauchen wir jetzt den notwendigen Veränderungswillen und Speed in der Umsetzung. Dann haben wir auch in Zukunft eine gute Chance mit der Deutschen Industrie auf der Weltbühne ganz weit vorne mitzuspielen.

Wie ist Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie uns oder mir unter lux@hs-koblenz.de

 

Prof. Dr. Jörg Lux

Professor an der Hochschule Koblenz im Fachbereich Ingenieurwesen für Logistik und Operations Management. Und geschäftsführender Gesellschafter der Busycon – Beratungsgesellschaft mbH in Darmstadt