Haben wir ein Umsetzungsproblem oder fehlt eine Innovations-Strategie?
Ein Beitrag von Klaus Weßing.
Charakteristisch für Sprunginnovationen ist, dass sie einen existierenden Markt grundlegend verändern, einen komplett neuen Markt erschaffen oder ein bedeutendes technologisches, soziales oder ökologisches Problem lösen können. „Sprunginnvation in Deutschland“ sind auch unter dem Namen SPRIN-D bekannt. 1 Wer tiefer in das Thema eintauchen möchte, sollte die Webseite des BMBF besuchen. Eine vom DIHK in Auftrag gegebene Studie mit dem Namen “Sprunginnovationen: Wie disruptiv sind deutsche Unternehmen?” zeigt, dass es durchaus Sprunginnovationen in deutschen Unternehmen gibt und diese sogar häufiger vorkommen, als man das erwartet darf. Aber diese finden quasi im Verborgenen statt, daher weiß kaum jemand etwas davon. Was ärgerlich ist, denn gerade in jüngster Zeit gelte Deutsche Unternehmen nicht gerade als besonders innovativ. „Deutschland ist Weltmeister im Optimieren und Kreisklasse bei Innovationen“, stellte die Wirtschaftswoche schon 2017 fest.2 Das war nicht immer so, Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Ingenieure war auch Weltmeister bei Erfindungen schreibt das Handelsblatt 3 und erinnert in dem Beitrag „Deutsche Erfindungen, die die Welt revolutionierten“ an wichtige Erfindungen „Made in Germany“. „In Kellern und Werkstätten der Nation sind Dinge entstanden, die im heutigen Alltag selbstverständlich wirken. Zu jener Zeit waren einige Erfindungen eine Revolution“. Doch wie sieht es heute aus? Wo stehen deutsche Unternehmen in Sachen Innovation? In Deutschland stehen schon lange nicht mehr grundlegende Erfindungen, sondern Prozessverbesserungen im Vordergrund.4
Innovationen „Made in Germany“ dringend gesucht
Auf die wachsende Innovationsschwäche macht aktuell auch die Studie der IW Consult im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung aufmerksam und sie fördert Erschreckendes zutage: Nur zwanzig Prozent der Unternehmen im Lande können als besonders innovativ bezeichnet werden. Der Anteil disruptiver Innovatoren, die die Kraft haben, Märkte auf den Kopf zu stellen, liegt gerade mal bei zwölf Prozent. Der Anteil innovativer Unternehmen in Deutschland sinkt rapide. Nur noch jedes fünfte deutsche Unternehmen kann heute als besonders innovativ bezeichnet werden. 2019 galt dies noch für jeden vierten Betrieb. Dagegen ist allein in den zurückliegenden drei Jahren der Anteil der Unternehmen, die nicht aktiv nach Neuerungen suchen, von 27 auf 38 Prozent gewachsen.
Diese Entwicklung gefährdet Wohlstand und die Rolle Deutschlands in der Nachhaltigkeitstransformation, wie eine aktuelle Studie der IW Consult im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zeigt. „Unser Wohlstand ist massiv gefährdet, wenn immer weniger Unternehmen sich als technologische Vorreiter sehen oder sich nicht mehr an tiefgreifende Neuerungen wagen“, warnt Armando García Schmidt, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann-Stiftung. Auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene lässt sich ein Rückgang der Innovationstätigkeit beobachten. So liegt der innovative Output der gesamten Unternehmenslandschaft 2022 um 15 Prozent unter dem Niveau von 2019. 5
Deutschland droht als Erfinderland international weiter zurückzufallen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine am Mittwoch vorgestellte Civey-Umfrage im Auftrag des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). Demnach stimmte mehr als jeder zweite Deutsche nicht mit der Aussage überein, dass Deutschland noch ein Erfinderland sei. 6 Der Rückgang der Innovationen werde schwerwiegende Folgen für die Stellung deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten haben, warnt Wirtschaftsexperte García Schmidt. „Unsere Studie zeigt klar, dass Unternehmen wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger gegen Krisen sind, je stärker ihr Innovationsprofil ist. Innovationsstarke Firmen leisten auch einen dynamischeren Beitrag zur Beschäftigungsentwicklung. Unser Wohlstand ist massiv gefährdet, wenn immer weniger Unternehmen sich als technologische Vorreiter sehen oder sich nicht mehr an tiefgreifende Neuerungen wagen.“
Ist der Wohlstand in Gefahr?
Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) von 2022 planen nur noch 29 Prozent von 35.000 befragten Unternehmen Produktinnovationen – der niedrigste Wert seit 2003. Erfindungsreichtum und Ingenieurkunst haben Deutschland beispiellosen Wohlstand gebracht, doch der ist jetzt in Gefahr, wie das Handelsblatt anmerkt. „An dieser Erkenntnis fehlt es den Entscheidern nicht. Als Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik in Brandenburg eine Rede hält, sind seine Worte deutlich: „Die Dinge, die wir heute schon können, werden uns keinen Wohlstand schaffen in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren.“ 7
Wegen Inflation, Lieferengpässen und Ukrainekrieg werden Innovationsvorhaben gestrichen statt beschleunigt. Deutschland macht kaum Fortschritte bei der Innovationsfähigkeit. Im neuen Innovationsindikator des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und der Unternehmensberatung Roland Berger steht Deutschland auf Rang zehn von 35 und damit weit hinter den erstplatzierten kleineren Volkswirtschaften Schweiz, Singapur und Dänemark. Der Innovationsindikator 2023, eine Kooperation von BDI und Roland Berger, liefert empirisch belegte Erkenntnisse darüber, wie Deutschlands Innovationsfähigkeit im internationalen Vergleich abschneidet. Deutschland habe sich laut BDI in den vergangenen 15 Jahren kaum von der Stelle bewegt. BDI-Präsident Siegfried Russwurm nennt auch gleich die Gründe woran das liegt: „Unserem Innovationssystem fehlt es an Dynamik, Tempo und Flexibilität. Um zur Spitzengruppe aufzuschließen, müssen wir jetzt gezielter Technologien fördern und mutig auf ein agileres Innovationssystem setzen, das die schnelle Einführung und Skalierung neuer Geschäftsmodelle ermöglicht und Wirtschaft und Wissenschaft gleichzeitig von überbordender Bürokratie befreit.“8
Die Situation Deutschlands in Bezug auf seine Innovationsfähigkeit im internationalen Vergleich gleicht somit dem zur Hälfte gefüllten Glas Wasser. Auch wenn viele Studien den Eindruck vermitteln, dass viele deutsche Unternehmen bei Thema Innovationen an Boden gegenüber den Rest der Welt verlieren, auf den Standort Deutschland trifft dies nicht zu. Deutschland kann, wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einräumt, „in einigen Technologiefeldern nicht ohne Weiteres mit sehr innovationsstarken Ländern und Hochleistungsstandorten mithalten und (liegt) im zukunftsweisenden Bereich der Spitzentechnologien und der Digitalisierung (zurück).“ Das BMBF will mit der neuen „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“, die „Technologieführerschaft verteidigen und in Teilen auch neu erringen,“ wie die Berliner Zeitung Jahres schrieb.9
Innovationsstandort Deutschland auf dem Vormarsch
Während der Anteil innovativer Unternehmen weiter sinkt, ist die deutsche Wirtschaft bei Innovationen auf dem Vormarsch. Das ist eines der Ergebnisse des neuen Innovations-Ländervergleichs der Vereinten Nationen (UN). Die Bundesrepublik verbesserte sich um zwei Positionen auf den achten Platz, wie heute aus dem Bericht der UN-Organisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf hervorging. Es ist die höchste Positionierung für Deutschland seit 13 Jahren. Insbesondere das Investitionsklima wurde dieses Mal besser bewertet, aber auch bei Bildung und der Entwicklung von Online-Produkten schnitt Deutschland besser ab als im Vorjahresindex. Im „Global Innovation Index“ rangiert Deutschland auf Position 8 von 132 untersuchten Ländern. 10 Doch bei den Schlüsseltechnologien belegt Deutschland derzeit nur den 7. Platz, von insgesamt 35 Volkswirtschaften. Deutschland ist in den vergangenen 20 Jahren bei den entscheidenden Schlüsseltechnologien im internationalen Wettbewerb deutlich zurückgefallen und belegt aktuell nur Platz 7. Länder wie Finnland, die Schweiz, Japan und China laufen uns hier den Rang ab. Untersucht wurden die sieben Technologiefelder Digitale Hardware, Digitale Vernetzung, Produktionstechnologien, Energietechnologien, Neue Materialien, Biotechnologie und Kreislaufwirtschaftstechnologien. 11
Mit dem Begriff Schlüsseltechnologien werden Technologien bezeichnet, die in einer großen Zahl von Wirtschaftszweigen die Grundlage für neue Produkte bilden und technologischen Wandel ermöglichen sowie die großen Herausforderungen unserer Zeit adressieren. Laut der aktuellen Studie „Innovationsindikator 2023“ von BDI, Roland Berger, Fraunhofer ISI und Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, laufen Deutschland Länder wie Finnland, die Schweiz, Japan und China hier den Rang ab. Schon jetzt warnen die Autoren der Studie, riskiert Deutschland bei einigen der digitalen Technologien noch weiter zurückzufallen, etwa im Bereich der Biotechnologie oder Künstlichen Intelligenz (KI). China beispielsweise mobilisierte bereits 2022 rund 13 Milliarden US-Dollar für Künstliche Intelligenz, um strategisch die digitale Vernetzung im Land voranzutreiben.
Künstliche Intelligenz ante portas
Die Studie des Digitalverbands Bitkom: „Künstliche Intelligenz – Wo steht die deutsche Wirtschaft?“ die im Herbst letzten Jahres veröffentlicht wurde zeigt, dass Deutschland beim Thema KI im internationalen Vergleich zurückfällt. 606 Unternehmen ab 20 Beschäftigten aus allen Branchen in Deutschland wurden für die Studie befragt. Nur 6 Prozent halten Deutschland derzeit für weltweit führend bei KI, vor einem Jahr lag der Anteil noch bei 10 Prozent. Damit liegt Deutschland in der Einschätzung der Wirtschaft hinter Japan (10 Prozent), China (20 Prozent) und den USA (40 Prozent). Zugleich gehen nur 3 Prozent der Unternehmen davon aus, dass Deutschland 2030 beim Thema KI führend sein wird. 2021 lag der Anteil mit 8 Prozent noch darüber. 12
„Deutschland muss hier kräftig nachlegen, um nicht Gefahr zu laufen, an technologischer Souveränität zu verlieren und damit Wohlstand zu riskieren,“ warnt der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (Efi) Uwe Cantner. „Ohne einen Sprung nach vorn, vor allem bei der Digitalisierung, kann auch die ökologische Transformation nicht gelingen“, so der Ökonom. 13
Doch der geforderte Sprung nach vorne lässt noch auf sich warten. Denn gerade bei Patentanmeldungen in digitalen Technologien fallen deutsche Unternehmen auf ihrem Heimatmarkt immer stärker zurück. Während die Zahl der veröffentlichten Anmeldungen mit Wirkung für Deutschland vor allem aus den Vereinigten Staaten und aus China im vergangenen Jahr kräftig zulegte, gingen die Veröffentlichungen aus Deutschland teilweise deutlich zurück. In allen fünf Technologiefeldern, die das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) in einer Analyse untersucht hat, wurden 2022 weniger Patentanmeldungen aus Deutschland veröffentlicht als im Vorjahr. „Die Patentanmeldungen von heute sind die innovativen Produkte von morgen, und die Digitalisierung treibt die Entwicklung in nahezu allen Wirtschaftsbereichen. Wenn wir bei den digitalen Schlüsseltechnologien den Anschluss verlieren, wird unsere Innovationskraft in allen Branchen leiden,“ so die DPMA-Präsidentin Eva Schewior. 14
Innovationen, Innovationen, Innovationen
Es stellt sich also die Frage, was muss getan werden, damit Deutschland innovativer wird? Wie können Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft dabei zusammenarbeiten? Obwohl Deutschland europaweit absolut am meisten für Forschung und Entwicklung ausgibt, entstehen die wirklich relevanten Innovationen meist an anderen Orten der Welt. So sind die führenden US-amerikanischen und chinesischen Firmen nicht nur um ein Vielfaches größer, sondern auch vermehrt deutlich jünger als die Spitze der deutschen Unternehmen. Klar ist jedoch auch, dass wir kein Potenzial-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Bürokratieweltmeister ist Deutschland bereits. Um wieder Innovationsweltmeister zu werden, bedarf es sowohl staatlicher als auch privatwirtschaftlicher Impulse. „Die Ampelregierung hat nichts Geringeres als das Jahrzehnt der Innovation ausgerufen,“ schreibt Michael Gröger in einem Gastbeitrag im „Industry of Things“ Magazin und wir erfahren, dass der Begriff Innovation allein 76 Mal im Koalitionsvertrag verwendet wird. 15 Doch durch das mantraartige Wiederholen des Begriffes allein entsteht keine noch keine Innovation. Was also sollte getan werden?
Europa und Deutschland benötigen dringend eine nachhaltige Innovations – und Industrie-Strategie 2030, um nicht weiter gegenüber den USA und China an Boden zu verlieren. Doch die fehlt ebenso wie eine Zukunftsvision für den Standort Deutschland, um Unternehmen für Innovationen „Made in Germany“ zu begeistern. Viele Probleme, die im Artikel angesprochen wurden, sind selbst verschuldet, verbummelt oder verschlafen worden. Doch wenn wir nicht in wichtigen Wirtschafts-Rankings ins untere Drittel abzurutschen wollen, müssen jetzt handeln. Noch haben wir es selbst in der Hand wieder eine Spitzenposition zu erzielen, denn der Innovationsstandort Deutschland ist sicherlich besser als sein aktueller Ruf. Im letzten Jahr hat das Handelsblatt „Zehn Strategien, die Deutschland zurück an die Weltspitze bringen“ vorgestellt. 16 Es schadet nicht, den Artikel noch einmal gründlich zu lesen,
Quellen
- https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/agentur-fuer-sprunginnovationen/agentur-fuer-sprunginnovationen_node.html
- https://www.wiwo.de/erfolg/management/unternehmenskultur-misstrauen-zerstoert-die-produktivitaet-der-mitarbeiter/19673288.html
- https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/beruehmte-erfindungen-deutsche-erfindungen-die-die-welt-revolutionierten/26571948.html
- https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bdi-studie-deutschland-liegt-bei-der-innovationsfaehigkeit-hinter-belgien-/29126430.html
- https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/mai/deutsche-unternehmen-muessen-nach-corona-wieder-innovativer-werden
- https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/studie-fluch-des-erfolgs-deutschland-hat-ruf-als-erfinderland-verloren/29165830.html
- https://www.handelsblatt.com/unternehmen/innovationweek/innovationsnotstand-viele-patente-wenig-produkte-deutschlands-barrieren-bei-der-innovation/28411966.html
- https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-05/bdi-roland-berger-innovationsindikator-deutschland#:~:text=Im%20neuen%20Innovationsindikator%20des%20Bundesverbands,Volkswirtschaften%20Schweiz%2C%20Singapur%20und%20D%C3%A4nemark
- https://www.berliner-zeitung.de/open-source/innovationsstandort-deutschland-im-sinkflug-was-muss-passieren-li.337319
- https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/KfW-Research/Innovationen.html
- https://innovationsindikator.bdi.eu/
- https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Kuenstliche-Intelligenz-2022#:~:text=Nur%206%20Prozent%20halten%20Deutschland,den%20USA%20(40%20Prozent).
- https://www.handelsblatt.com/politik/international/efi-gutachten-expertenkommission-deutschland-faellt-bei-schluesseltechnologien-zurueck-/28052356.html
- https://www.dpma.de/service/presse/pressemitteilungen/21062023/index.html
- https://www.industry-of-things.de/braucht-deutschland-ein-neues-innovationsverstaendnis-a-88d4815d250745fde8067fa7c4e9c53d/
https://app.handelsblatt.com/unternehmen/innovationweek/fehlende-innovation-zehn-strategien-die-deutschland-zurueck-an-die-weltspitze-bringen/28410094.html?utm_source=google&utm_medium=ads&utm_campaign=paidcontent_search_prospecting&utm_content=jurodo&utm_term=&gclid=CjwKCAjw44mlBhAQEiwAqP3eVrK5HMd12cFTUQWURfvcOnOfsceLQyyP645ZLM3_yQ-gT7xQUuX5-xoCRogQAvD_BwE
Foto von Steven Lelham auf Unsplash
Klaus Weßing
Mitglied des Vorstandes infpro