Standort Deutschland: Die Attraktivität nimmt weiter ab.

 Ein Beitrag von Klaus Weßing.

Als wäre der Novemberblues für die Stimmung nicht schon genug an Tristesse und trüben Gedanken, da taucht das Deindustrialisierungs-Gepenst aus dem Nebel der schlechten Nachrichten wieder auf und die Diskussion geht weiter. Die sinkende Standortattraktivität Deutschlands, die Risiken der zunehmenden Deindustrialisierung und damit verbunden die verstärkte Verlagerung der hiesigen Produktion ins Ausland bereiten Kopfzerbrechen, nicht nur der Regierung.

Die Ergebnisse des „Supply Pulse Check 2023“ der Unternehmensberatung Deloitte kommen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Nach dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegen die Nerven blank. Dass Karlsruhe die Umwidmung von Corona- in Klimaschulden für verfassungswidrig erklärte, stürzt die Ampelkoalition in akute Haushaltsnot. „60 Milliarden Euro weg – und kein Plan B,“ bringt die ZEIT es auf den Punkt. Und jetzt auch noch das, die Gefahr einer Deindustrialisierung Deutschlands mutiert zu einem Worst-Case-Szenario mit ernstzunehmenden Beispielen. Diese Negativentwicklung konnte trotz Wumms und Dopple-Wumms, allen geschmiedeten Pakten und Versprechen zum Trotz nicht gestoppt werden. Das Ergebnis der Deloitte-Umfrage: Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität, mit gravierenden Folgen.

Wertschöpfung im Wandel

Viele Unternehmen reagieren darauf mit einer Verschiebung wichtiger Teile ihrer Wertschöpfung. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Deloitte-Umfrage „Supply Chain Pulse Check“. Ihr zufolge haben bereits mehr als zwei Drittel der Firmen (67 Prozent) verlagert – in moderatem bis sehr starkem Umfang. In den Bereichen Maschinenbau und Automobile gehen besonders viele der befragten Entscheidungsträger von einer weiter sinkenden Standortattraktivität aus.

45 Prozent der befragten Betriebe erwarten, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestandorten weiter zurückfallen wird. Unter den Unternehmen im Maschinenbau und der Autoindustrie sind es sogar 65 Prozent, von denen wiederum knapp zwei Drittel mit einem deutlichen und ein Drittel mit einem leichten Attraktivitätsverlust rechnen.

Quelle: Deloitte Wertschöpfung im Wandel. Standort zunehmend unter Druck. Supply Pulse Check, Herbst 2023

„Das Vertrauen in den Standort Deutschland ist erschüttert“, formuliert es der Industrieexperte und Deloitte-Partner Florian Ploner, einer der Autoren der Studie gegenüber dem Handelsblatt. Und seit dem Zeitpunkt einer erstem Befragung vor sechs Monaten habe sich das Bild in der neuen Erhebung noch deutlich verschlechtert. Es gebe wegen der hohen Energiekosten einen „erheblichen Schmerz“ bei Industrieunternehmen, vor allem im Mittelstand. „Wir sehen eine Deindustrialisierung“, fasst es Ploner zusammen.

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Für die Studie Supply Chain Pulse Check des Beratungsunternehmens Deloitte und des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) wurden 108 Lieferketten-Verantwortliche von Großunternehmen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland befragt. Sie sind vorwiegend in den Branchen Maschinenbau/Industriegüter, Automobil, Chemie, Bauwesen sowie Transport und Logistik tätig.

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67 Prozent der befragten Unternehmen haben auf die Lage bereits mit einer moderaten bis starken Verlagerung ihrer Wertschöpfungskette reagiert. Diese Verlagerungen konzentrierten sich der Untersuchung zufolge bislang auf die Bauteilfertigung. Geplante Verlagerungen beträfen jedoch zunehmend auch “hochwertigere Wertschöpfungsteile” wie die Vormontage und die Produktion im Allgemeinen. Unternehmensbereiche, die selten zur Verlagerung in Betracht gezogen werden, sind der Einkauf, begleitende Dienstleistungen, die Forschung sowie zentrale Unternehmensfunktionen wie Leitung, Marketing und Vertrieb.

Die wichtigsten Gründe für Investitionen in andere Länder sind der Umfrage zufolge niedrigere Energiekosten (59 Prozent), geringere Löhne (53 Prozent), ein besseres Marktumfeld (51 Prozent) und weniger Bürokratie (50 Prozent). Seltener wurden der Zugang zu Rohstoffen, bessere Investitionskonditionen oder Subventionen, eine gute Logistikanbindung sowie die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften genannt.

Abwanderung in Richtung EU, Asien und USA

Derzeit verschieben die Unternehmen der Erhebung zufolge vor allem wenig komplexe Bereiche wie die Bauteilfertigung ins Ausland. „Hier findet die Deindustrialisierung bereits in erheblichem Umfang statt. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, werden sehr wahrscheinlich mehr Unternehmen folgen und zunehmend wichtigere Teile der Wertschöpfung abwandern“, sagt Florian Ploner, Partner bei Deloitte und zuständig für den Industriesektor. Denn auf die Frage nach geplanten Verlagerungen verweisen jeweils ein Drittel der Befragten auf hochwertige Wertschöpfungsteile wie die Produktion im Allgemeinen (33 Prozent) oder die Vormontage (34 Prozent).

Was ist zu tun?

Was ist also zu tun, um den Standort wieder attraktiver zu machen, fragen die Deloitte Experten. Mit Blick auf den aktuellen Subventionswettlauf unter anderem mit den USA und China gehen die Meinungen auseinander. Nur sieben Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sich Deutschland behaupten wird. Knapp ein Viertel (23 Prozent) ist der Ansicht, Deutschland sollte gar nicht teilnehmen während 36 Prozent meinen, Deutschland sollte hier deutlich aktiver werden.

Sinnvolle Maßnahmen zur Stärkung der Standortattraktivität sind aus Sicht der befragten Unternehmen die Reduzierung von Bürokratie und langfristig wettbewerbsfähige Energiepreise. 69 Prozent favorisieren dies. Eine staatliche Förderung von Schlüsseltechnologien (45 Prozent) oder eine vereinfachte Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften (43 Prozent) spielt für die Betriebe dagegen eine deutlich geringere Rolle.

Ausgesprochen kritisch sehen die Befragten das Lieferkettengesetz (LkSG). 63 Prozent der Firmen betrachten es als eine übermäßige Belastung im operativen Geschäft. Nur knapp jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) sieht in dem Gesetz einen Beitrag zu einheitlichen Rahmenbedingungen und damit eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen, die aktuell nicht verlagern, planen laut der Deloitte-Erhebung weit stärker alternative Lieferanten und Multisourcing zu nutzen. Sie setzen auf ganzheitliches Lieferantenmanagement und Kooperation sowie lieferkettenübergreifenden Datenaustausch und Risikoanalysen. „Der Druck, der auf den Unternehmen lastet, ist enorm“, sagt Dr. Jürgen Sandau, Partner und Lieferketten-Experte bei Deloitte, warnt aber gleichzeitig vor voreiligen Entscheidungen. „Dennoch ist eine vorschnelle Verlagerung selten sinnvoll. Die Firmen hierzulande sind gut beraten, ihre Kapazitäten mit Hilfe von Plattformen und Netzwerken über die nächsten fünf Jahre flexibel zu gestalten. Denn Faktoren wie Rechtssicherheit und Stabilität am Standort Deutschland sind wesentlich für den unternehmerischen Erfolg.“

Bürokratie: Investitionsfeind Nummer 1

Auch bei den Zuliefern verliert Deutschland an Attraktivität, wie die Wirtschaftswoche berichtet und bezieht sich dabei auf eine Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) unter 113 Unternehmen aus der Branche. Mehr als ein Drittel der Betriebe gab an, geplante Investitionen aus Deutschland ins Ausland zu verlagern. Schuld daran sei vor allem die Bürokratie in Deutschland. Obwohl Bürokratie immer zu den Top-Belastungen gehört hätte, hätte der Wert nie höher gelegen als bei der aktuellen Umfrage, heißt es vom VDA. Insgesamt sehen sich 85 Prozent der befragten Unternehmen durch Bürokratie stark bis sehr stark belastet. Im Mai waren es noch 72 Prozent gewesen, im Februar bei 62 Prozent.

Der Anteil habe sich von 22 Prozent bei einer ähnlichen Umfrage vor rund einem Jahr auf nun 35 Prozent erhöht, teilte der VDA am Mittwoch mit. Investitionsziele sind demnach vor allem andere EU-Länder, aber auch Asien und die USA. Weitere 14 Prozent gaben demnach an, Investitionen ganz zu streichen und nur ein Prozent wolle Investitionen erhöhen.

Der VDA warnt vor einem Attraktivitätsverlust des Wirtschaftsstandorts Deutschland, schreibt die Wirtschaftswoche. „Dass immer mehr Unternehmen Investitionen ins Ausland verlagern, ist ein Warnsignal für Berlin”, betonte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. „Es gilt, gegenzusteuern und regulatorisches Klein-Klein durch langfristige Strategien für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu ersetzen.”

Als Institut für Produktionserhaltung setzen wir uns daher für die Umsetzung der folgenden Punkte ein:

1. Stärkung der Synergien zwischen Unternehmen durch spezielle Wissenstranfermeetings (8 Transfermeetings pro Jahr wären)
2. Stärkung des Wertschöpfungsmanagement durch neue Studienangebote an Hochschulen und Universitäten.
3. Lernen in Lehrfabriken (Süd/Nord Region), Unterstützung durch infpro Experten
4. Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik, um aktuelle Fragen zur Wertschöpfung, Lean Management oder zur Lieferkettenproblematik schneller und effizienter bearbeiten zu können

 

Bild: erstellt mit DALL-E

Klaus Weßing

Vorstandsvorsitzender infpro