Verliert der Wirtschaftsstandort Deutschland seine Attraktivität?

Ein Kommentar von Dr. Metin Begecarslan zur KPMG Studie „Business Destination Germany 2022“

 

 Darum geht es:

Internationale Unternehmen fahren Investitionen in Deutschland zurück

Die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort ist in Gefahr. Das legen die Ergebnisse der Studie „Business Destination Germany 2022“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG nahe. Für diese wurden 360 CFOs der größten deutschen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne aus den wichtigsten Investorenländern befragt. Untersucht wurden dabei die wichtigsten Faktoren des Wirtschaftsstandorts Deutschland im EU-Vergleich. Die alle zwei Jahre durchgeführte Studie wurde zum vierten Mal erhoben. Zwar investieren internationale Konzerne derzeit in Deutschland in zukunftsweisende Leuchtturm-Projekte. Aktuell planen aber nur noch 19% der Befragten in den kommenden fünf Jahren ein Investment von mindestens zehn Mio. € pro Jahr in Deutschland. Vor vier Jahren wollten dies noch 34% der Befragten.

Die wichtigsten Ergebnisse:

    • Deutschland wird von mindestens 40 Prozent der befragten CFOs bei 10 der 16 abgefragten Standortfaktoren unter den Top 5 der EU-Länder eingestuft.
    • Die besten Bewertungen erhielt Deutschland für den Lebensstandard, die öffentliche Sicherheit und die politische Stabilität.
    • Dagegen verschlechterte sich die Bewertung der grundlegenden Stärken Deutschlands (innovationsförderndes Umfeld, Prozessautomatisierung, Arbeitsproduktivität).
    • Nach Ansicht der Befragten hat sich keine der vor zwei Jahren festgestellten Schwächen verbessert. Deutlich kritisch äußerten sich die befragten CFOs über den Zustand der digitalen Infrastruktur und des Steuersystems.

Deutschland hat laut Umfrage hinsichtlich der Standortfaktoren Steuern, Digitalisierung und logistische Infrastruktur im EU-Vergleich weiter an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Zugleich haben sich grundlegende Standortstärken, für die Deutschland international bekannt ist und geschätzt wird, verschlechtert: Innovationsförderndes Umfeld, Prozessautomatisierung und Arbeitsproduktivität.

 

Der Kommentar von Metin Begecarslan

Ist die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort in Gefahr?

Ich denke mittelfristig Ja, wenn nicht gezielt dagegen gesteuert wird und die Politik die Ergebnisse der Studie von KPMG nicht auf ihre Agenda der „Brennpunkte“ setzt. Die neue Studie von KPMG „Business Destination Germany 2022“ offenbart nicht nur die aktuellen Schwächen Deutschlands als Wirtschaftsstandort, sondern kommt u.a. auch zu dem Ergebnis, dass Deutschland seine Stärken, für das es bekannt ist, eingebüßt hat. Kamen die Experten von KPMG in der „Business Destination Germany“ Studie von 2015 noch zu den Ergebnissen:

  • Bei „Innovationen belegt Deutschland den 3. und 4. Platz jeweils im EU Innovation Union Scoreboard (IUS) 2014 und im iit-Indikatorranking (2014).“
  • eine „hohe [Arbeits-]Produktivität, die sich voraussichtlich weiter verbessern wird, da die aktuellen Investitionsprioritäten auf produktivitätsbezogene Probleme abzielen“.

So verschlechterten sich diese  „Key-Assets“ in der aktuellen Studien nach Ansicht der befragten CFOs in den drei wichtigen Standorteigenschaften:

    • Innovationsförderndes Umfeld
    • Prozessautomatisierung
    • Arbeitsproduktivität

Ein Weckruf für unsere Politik muss daher zwingend die Erkenntnis der Studie sein, dass die besten Bewertungen nichts mit den spezifischen Maßnahmen oder den Strategien der Regierung zu tun haben. Ich betone das Wort „Weckruf“, denn Deutschland hat durchaus das Potential auch diese Situation zu meistern, wenn der Ernst der Lage verstanden und dir „richtigen“ Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.

Was muss getan werden?

Die Studie adressiert wichtige Handlungsfelder, welche aus meiner Sicht die deutsche Regierung und die Unternehmen als ihr Kernaufgaben ansehen und umsetzen müssen. Diese sind u.a.:

Komplexes Steuersystem:

  • Während zumindest die Mindeststeuern für Unternehmen durch die G20 Finanzminister/innen im Juli 2021 beschlossen wurde (BMF, 2021), ist die Komplexität des jeweiligen Systems +eine andere Dimension, die Firmen abschrecken kann. Das schrittweise Anpassen eines Systems erfordert von Zeit zu Zeit eine Gesamtbetrachtung des kompletten Systems. Jetzt wäre es an der Zeit.

Fachkräfte Situation, bzw. Arbeitsproduktivität:

  • „Wir haben kein Fachkräfteproblem, wir haben ein Wertschöpfungsproblem!“ In einem Gastbeitrag in der FAZ brachten die Autoren Oliver Prause, Hermann Doppler und Winfred Weber das Problem auf den Punkt: „Bis zu 40 Prozent ihrer Zeit und Arbeitskraft verschwenden Mitarbeiter für Blindleistungen, die nicht der Wertschöpfung dienen.“ Jetzt wäre es an der Zeit die Wertschöpfungsbetrachtung nicht nur in vereinzelte Hochschulen, sondern generell als Bildungsfach breiter anzubieten. Umsetzung könnte sofort in den Abläufen der Ämter stattfinden, um den „Bürokratischen Aufwand“ zu reduzieren, was nach Recherchen des Handelsblatts der Schlüsselfaktoren für Auslandsinvestitionen mit 33% als zweitgrößtes Hindernis gesehen wird.

Digitale und Logistische Infrastruktur:

  • Im Digitalisierungsgrad bewegt sich Deutschland im europäischen Mittelfeld. Das passt nicht annähernd zu unserem Anspruch (Statista, 2022). In den Details kristallisieren sich die Potentiale aus deutscher Sicht – Humankapital und digitale öffentliche Verwaltung. Diese Themen würden sich mit dem Blick auf die Wertschöpfung wie oben beschrieben wunderbar ergänzen. Es zwingend notwendig, die  digitale Infrastruktur sofort und mit allen Mitteln schneller als unsere europäischen Nachbarn weiter auszubauen.
  • Die Bewertung der logistischen Infrastruktur lässt aufhorchen. Und zwar wie schnell die Zahl von 76% positiv vor vier Jahren jetzt nur noch 59% positiv gefallen ist. Wenn das eine Trendlinie darstellen sollte, dann haben wir ein weiteres Problem mit starkem Domino Charakter. Es wäre an der Zeit alle Infrastrukturthemen ganzheitlich zu betrachten, um sie entsprechend strategisch anzugehen. Vor allem wenn gezielt Investitionen getätigt werden müssen.

Ohne Frage, es besteht akuter Reformbedarf in diesen wichtigen Bereichen. Die nächste CFO Befragung von KPMG wird zeigen, ob der Weckruf dieser Studie gehört wurde. Ich hoffe es, denn Deutschland hat als Wirtschafts- und Produktionsstandort sicherlich mehr zu bieten.

Quellen:

KPMG (2015) Business Destination Germany International Business Benefiting from Opportunities in Europe‘s Largest National Economy. Available from: Business Destination Germany (assets.kpmg) [Accessed: 11.12.2022]

BMF (2021) BMF Monatsbericht Juli 2021: Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen. Available from: Monatsbericht des BMF (bundesfinanzministerium.de) [Accessed: 11.12.2022]

Handelsblatt (2012) Leitfaden zur Planung von Auslandsexpansionen. Available from: Genereller Leitfaden Auslandsexpansion (handelsblatt.com) [Accessed: 11.12.2022]

Capital (2021) Wie in Neuss Deutschlands schnellstes Impfzentrum entstand. Available from: Wie in Neuss Deutschlands schnellstes Impfzentrum entstand – Capital.de [Accessed: 11.12.2022]

Statista (2022) Digitalisierungsgrad der EU-Länder gemäß dem Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI*) im Jahr 2022. Available from: Digitalisierungsgrad der EU-Länder 2022 | Statista [Accessed: 11.12.2022]

Dr. Metin Begecarslan

Corporate Vice President Hillenbrand Operating Model (HOM), Hillenbrand.