Digitalisierung macht nur mit Lean Sinn.

 Ein Beitrag von Dr. Oliver Prause.

Inflation und stark gestiegene Energiekosten setzen die Industrieunternehmen weiterhin unter Druck. Ein Schlüssel für die Lösung dieser Probleme ist Lean Management. Davon sind mehr als 90 Prozent der für die Studie „Zukunft Industrie 2023“ befragten Unternehmen überzeugt. „In den Chefetagen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass reines Cost-Cutting zu kurz gedacht und nicht nachhaltig ist”, sagt Christian Sprenger, Partner bei der Staufen AG. Die Unternehmensberatung hat für ihre aktuellen Studie mehr als 400 Industrieunternehmen in der DACH-Region befragt.

94 Prozent der für die Studie befragten Unternehmen sehen in Lean Management eine Lösung zur Bewältigung aktueller Herausforderungen. Die Umfrageergebnisse zeigen auch, dass die Digitalisierung einen zentralen Beitrag zur nachhaltigen Umsetzung von Lean Management leistet. Lean Management wird als notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Digitalisierung gesehen. Erst wenn wichtige Prozesse standardisiert und optimiert sind, macht es Sinn diese zu digitalisieren kann. Laut der Staufen-Studie bestätigen mehr als zwei Drittel der Befragten (72%) das Potenzial der Digitalisierung, Geschäftsprozesse weiter und nachhaltig zu verschlanken. Für die befragten Unternehmen ist die Digitalisierung im Bereich der Produktion gerade in schwierigen Zeiten alternativlos, um Kosten zu senken und mehr Transparenz in die Abläufe zu bringen. Bereits vier von zehn Unternehmen (44 Prozent) verfolgen mit schlanken Prozessen auch Wachstumsziele.

Quelle: Staufen AG

 

Durch Effizienzsteigerung will man wettbewerbsfähig bleiben und setzt man auf die Kombination von Lean Management und Digitalisierung. Laut Studie wollen die meisten Unternehmen weiterhin aber eher Bestehendes digitalisieren, statt neue Geschäftsmodelle zu bauen. Zwar bieten inzwischen 73 Prozent der Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen mit 4.0-Eigenschaften an, aber nur 3 Prozent haben bisher komplett neue Geschäftsmodelle etabliert.

 Unausgeschöpfte Wertschöpfungspotentiale heben

Die Kombination von Lean-Prinzipien und Industrie 4.0 ist sinnvoll, um Wertschöpfungspotenziale zu realisieren. Hierbei stellt Lean in den meisten Anwendungsfällen das führende Konzept dar, welches durch den Einsatz digitaler Technologien unterstützt, erweitert und verstärkt wird. Für die Beziehung zwischen Lean-Prinzipien und Industrie 4.0 lässt sich für die Industriebetriebe in Deutschland feststellen: Je höher der Lean-Einsatz in einem Unternehmen, desto höher dessen Industrie 4.0-Anwendung und umgekehrt.

Konsequent eingesetzt können Lean Management und Industrie 4.0-Technologien dazu beitragen, bis ungenutzte Wertschöpfungspotentiale im Milliardenbereich zu heben. Dies ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Instituts für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN) der Hochschule Karlsruhe, des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und des Instituts für Produktionserhaltung (infpro). Die Autoren der Studie haben hierzu Produktivitätsfortschritte anhand des Umsetzungsgrads von Lean-Prinzipien und Industrie 4.0-Technologien ermittelt und exzellente Unternehmen mit einem hohen Lean-Umsetzungsgrad mit durchschnittlichen Betrieben verglichen. Das Ergebnis zeigt, dass der Produktivitätsvorsprung der Unternehmen, die konsequent Lean-Management einsetzen gegenüber Betrieben, die dies nicht machen bei etwa 6,5 Jahren liegt.

Wertschöpfungspotentiale nutzen

„Bei einer Bruttowertschöpfung im deutschen Verarbeitenden Gewerbe von etwa 667 Milliarden Euro im Jahr 2019 ergibt sich daraus ein unausgeschöpftes Wertschöpfungspotenzial von etwa 95 Milliarden Euro“, so Prof. Dr. Steffen Kinkel, Leiter des ILIN an der Hochschule Karlsruhe und Autor der infpro Studie. „In Abhängigkeit von der Beschäftigungsentwicklung nach der COVID-19-Krise scheint durch umfängliche Lean-Nutzung ein Wertschöpfungspotenzial von etwa 81 bis 101 Milliarden Euro realistisch.“ Für 2022 würde das unausgeschöpfte Wertschöpfungspotential sicherlich noch höher ausfallen, denn hier lag die Bruttowertschöpfung des Produzierenden Gewerbes inkl. dem Baugewerbe in Deutschland bei rund 1,03 Billionen Euro.

Die infpro Studienergebnisse verdeutlichen aber auch, dass die deutsche Industrie erhebliche Defizite bei der Umsetzung von ganzheitlichen Wertschöpfungssystemen aufweist: Der durchschnittliche Lean-Umsetzungsgrad der Betriebe des deutschen Verarbeitenden Gewerbes liegt auf einer Skala von 0 bis 7 bei 2,2, das sind etwa 30%. Bemerkenswert ist zudem, dass fast 20% der deutschen Industriebetriebe keines der sieben abgefragten Lean-Konzepte nutzen. Auch Unternehmen, die für exzellente Wertschöpfungskonzepte und die konsequente Umsetzung der verschwendungsfreien Produktion ausgezeichnet wurden, sehen mit einem mittleren Lean-Umsetzungsgrad von 67% noch Potenziale bei der Umsetzung von Lean-Prinzipien. Insgesamt zeigt die Studie überaus deutlich, dass in der deutschen Industrie hier noch beträchtliche unausgeschöpfte Umsetzungspotenziale bestehen. Der geringe Durchdringungsgrad von Lean-Prinzipien in der Entwicklung, Auftragsplanung, Vertriebsmanagement, Controlling oder Personalmanagement lässt noch weitergehende, erhebliche Wertschöpfungspotenziale erwarten.

 

 

Bildnachweis: Das Bild wurde mit dem KI-Kunstgenerator von Adobe “Firefly” erstellt.

Dr. Oliver Prause

Vorstandsvorsitzender infpro