Wie die deutsche Kunststoffindustrie die Krise überwindet. 

 Ein Beitrag von Stefan Schmidt und Klaus Weßing.

Die kunststofferzeugende Industrie in Deutschland kämpfte im abgeschlossenen Geschäftsjahr 2023 bereits das zweite Mal in Folge mit einer deutlich rückläufigen Produktion. Hohe Produktionskosten aufgrund gestiegener Arbeitskosten und sehr hoher Energiepreise setzten der Branche im internationalen Wettbewerb zu. Der Umsatz brach im vergangenen Jahr um 21,9 Prozent ein. Die Nachfrage nach Kunststoffen ging in Deutschland 2023 um 16 Prozent zurück. Eine schnelle Erholung wird auch in 2024 nicht erwartet, so Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von PlasticsEurope Deutschland (PED) auf der Wirtschaftspressekonferenz 2024 des Verbandes im März diesen Jahres.

Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e. V. (GKV) zog in seiner Jahreswirt-schaftspressekonferenz am 27. Februar 2024 bereits eine ernüchternde Bilanz der Kunststoffverarbeitung in Deutschland für das Jahr 2023. Der Branchenumsatz ging um 6,26 Prozent auf 72,55 Milliarden Euro nach unten, die Ergebnisse der Unternehmen stünden zudem unter starkem Druck. Bis auf den Bereich der technischen Teile haben die Branchen Verpackung, Bau und Konsumprodukte teilweise dramatische Rückgänge zu verzeichnen.

Für Ralf Düssel ist diese Gesamtentwicklung dramatisch: „Dies ist ohne Frage die schwerste ökonomische Krise seit dem Bestehen unserer Industrie. Wir gehen derzeit davon aus, dass die Produktion auch in diesem Jahr stagniert und rund 25 Prozent unter dem Niveau von 2022 bleibt. Das Ziel der gesamten Kunststoffwertschöpfungskette muss es jetzt sein, wichtige Strategie- und Strukturanpassungen vorzunehmen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen,“ so der Vorstandsvorsitzende von PlasticsEurope Deutschland.

Made in Germany

Die Kunststoffindustrie spielt eine wesentliche Rolle für die deutsche Wirtschaft. Sie ist nicht nur ein bedeutender Arbeitgeber mit über 300.000 Beschäftigten, sondern auch ein wichtiger Innovationsmotor. Produkte aus Kunststoff sind in zahlreichen Branchen unverzichtbar, von der Automobilindustrie über den Maschinenbau bis hin zur Medizintechnik. Die Branche trägt erheblich zum Export und zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei. Als Teil der Chemischen Industrie umfasst sie Kunststofferzeugung, die Kunststoffverarbeitung, den Kunststoffmaschinenbau sowie den Bereich Recycling. Wichtige Kunden und Abnehmer sind die Verpackungsindustrie, die Automobilindustrie und die Bauindustrie. Auch die Exportmärkte in Asien, Nordamerika und Europa sind von großer Bedeutung.

TecPart als Verband in der Kunststoffindustrie gefordert

„Die Ursache für den Umsatzrückgang sieht TecPart in zahlreichen ungünstigen Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene und dies spiegelt sich deutlich in den verarbeitenden Mengen der unterschiedlichen Branchen wider“, so Geschäftsführer Michael Weigelt.

Denn die Menge der verarbeiteten Kunststoffe ging 2023 im Vergleich zum Vorjahr leicht auf 13,33 Mio. t zurück. Maßgeblich für den Rückgang der Verarbeitungsmenge waren die un-günstigen Konjunkturbedingungen in der Chemie- und Fahrzeugindustrie und der Rückgang der Nachfrage nach Fast Moving Consumer Goods. Darüber hinaus wirkte sich ein Rückgang bei der energetischen Sanierung des Wohngebäudebestandes auf die Nachfrage nach Bauprodukten aus, der insbesondere mit Blick auf den Klimabeitrag des Gebäudesektors bedenklich ist.

Stoppschild gegen eine ausufernde Bürokratie

„Wir wollen, dass Arbeitsplätze für die Wertschöpfung entstehen und nicht wegen des so genannten „Erfüllungsaufwands“ der Unternehmen für neue Vorschriften. Europa und Deutschland brauchen ein wirksames Stoppschild gegen Bürokratie. Wir fordern, dass mindestens die Hälfte aller Vorschriften innerhalb der nächsten Wahlperiode des Europaparlaments abgeschafft werden. Neue Gesetze, Richtlinien, Verordnungen bzw. delegierte Rechtsakte der EU und des Bundes sollen künftig im Regelfall nur noch fünf Jahre gültig sein,“ betont Dr. Helen Fürst. “Innovationen und Wertschöpfung entstehen aus klugen Ideen in den Unternehmen, nicht aus Regelungsflut und Bürokratie. Dass es in Zeiten der Transformation auch an mancher Stelle Anpassungen von Gesetzen und Vorschriften bedarf, stelle ich nicht in Abrede. Gleichwohl ist die Flut an neuen und immer detaillierteren Rechtsvorschriften und Meldepflichten für die große Mehrheit der mittelständischen Unternehmen kaum mehr zu bewältigen und verunsichert die Unternehmen zusehends. Immer mehr Bürokratie schafft aber nicht mehr Innovationen, sondern sie gefährdet die Existenz von Unternehmen,” so Fürst.

Herausforderungen für die Industrie

1. Energie
Die Energiekosten sind ein zentrales Problem für die Kunststoffindustrie. Trotz politischer Maßnahmen wie der Strompreisbremse sind die Belastungen durch steigende Netzentgelte erheblich. Der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) fordert daher weitere Entlastungen, um die Produktionsstandorte in Deutschland zu sichern und einen möglichen Arbeitsplatzabbau oder die Verlagerung ins Ausland zu verhindern.

2. Umwelt
Die Umweltpolitik stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Die Debatte um die Plastiksteuer und strengere Recyclingvorgaben erzeugt Unsicherheiten. Die Industrie setzt auf eine Kreislaufwirtschaft und fordert, dass politische Maßnahmen recyclingfähige Materialien fördern und nicht durch kurzfristige Steuern belastet werden. Dies soll sicherstellen, dass die ökologischen Vorteile von Kunststoffen gegenüber anderen Materialien wie Papier genutzt werden können

3. Personal
Der Fachkräftemangel ist ein weiteres zentrales Thema. Viele Unternehmen finden nicht ausreichend qualifiziertes Personal, was die Produktionskapazität und Innovationskraft erheblich einschränkt. Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildung und Weiterbildung sowie zur Anwerbung internationaler Fachkräfte sind dringend erforderlich.

 

Zukunft der Kunststoffindustrie

Die Zukunft der deutschen Kunststoffindustrie hängt stark von ihrer Innovationsfähigkeit und Anpassung an nachhaltige Praktiken ab. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft, gesteigerte Materialeffizienz und der Einsatz von Recyclingmaterialien sind zentrale Strategien. Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Nutzung digitaler Technologien können helfen, die Produktionsprozesse effizienter zu gestalten und den Arbeitskräftemangel zu kompensieren.

Die Politik ist gefordert

Das Institut für Produktionserhaltung sieht an erster Stelle die Politik in der Pflicht. Sie hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen als zwingende Voraussetzung für neue Geschäftsmodelle. Ist das der Fall, wird investiert. Dabei geht es keineswegs nur um Subventionen, sondern um einen Rechtsrahmen, der der Umwelt hilft sowie der Entwicklung innovativer Techniken und Prozesse fördert und unterstützt. Um die Zukunft der Kunststoffindustrie in Deutschland zu sichern und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sind für infpro folgende Maßnahmen notwendig:

Um die deutsche Kunststoffindustrie aus ihrer tiefen ökonomischen Krise zu führen, sind mehrere Maßnahmen notwendig. Diese fünf Punkte betrachte ich als wichtig:

1. Investitionen in Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: Die Branche muss sich stärker auf Recycling und nachhaltige Produktion konzentrieren. Dies beinhaltet den Ausbau mechanischer und chemischer Recyclingverfahren sowie die Nutzung alternativer, nicht-fossiler Rohstoffe
2. Reduzierung der Energiekosten: Da hohe Energiekosten ein wesentlicher Faktor für die Krise sind, müssen Strategien zur Senkung dieser Kosten entwickelt werden. Dazu könnten Investitionen in erneuerbare Energien und energieeffiziente Produktionsprozesse gehören
3. Stärkung der Innovationskraft: Investitionen in Forschung und Entwicklung sind notwendig, um neue, umweltfreundlichere Materialien und effizientere Produktionsmethoden zu entwickeln. Dies würde der Industrie helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben und Technologievorsprünge zu sichern
4. Politische Unterstützung und Regulierung: Die Industrie benötigt eine verbesserte politische Rahmenbedingung, wie das Wachstumschancengesetz, um notwendige Strukturreformen und Innovationen zu fördern
5. Diversifizierung der Absatzmärkte: Die Fokussierung auf neue Märkte und Branchen, insbesondere in aufstrebenden Wirtschaften, könnte helfen, die Abhängigkeit von schwächelnden Märkten wie der Bau- und Automobilindustrie zu reduzieren

Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass die deutsche Kunststoffindustrie weiterhin eine führende Rolle im globalen Markt spielt und gleichzeitig ökologisch und ökonomisch nachhaltiger wird. „Nach der Roadmap „The Plastics Transition“, die PlasticsEurope dieses Jahr veröffentlicht hat, kann in Deutschland und Europa die Kunststoffindustrie im Jahr 2050 CO2-neutral sein und in der EU können 65 % zirkuläre Kunststoffe eingesetzt werden.“

Unser Fazit: Die Kunststoffproduktion in Deutschland befindet sich in einem tiefen Wandel. Trotz der gegenwärtigen ökonomischen Herausforderungen gibt es aber optimistische Ansätze für eine nachhaltige und wachstumsorientierte Zukunft. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft, verstärkte Investitionen in innovative Technologien und politische Unterstützung sind Schlüsselfaktoren, die es der Branche ermöglichen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen und gleichzeitig Wachstumspotenziale zu erschließen.

 

 

Anmerkung in eigener Sache: Infos zu den Personen in unserem Beitrag

Dr. Helen Fürst ist GKV Präsidentin, (siehe hierzu auch ihre Rede bei der GKV-Jahrespressekonferenz am 14.02.2024)Dr.

Ralf Düssel, SVP / Evonik Head of Sustainability bei Evonik und Mitglied des Steering Boards des pan-europäischen Verbandes Plastics Europe in Brüssel.

Michael Weigelt, Geschäftsführer bei TecPart e.V.

Quellen: https://plasticseurope.org/de/2024/03/14/kunststoffproduktion-durchlaeuft-tiefes-tal-doch-es-gibt-hoffnung/

https://www.ingenieur.de/fachmedien/vdi-energie-umwelt/umwelt/abfall-und-kreislauf/quoten-fuer-den-kunststoffkreislauf/

https://tecpart.de/de/projekte/branchenentwicklung/marktbericht

https://tecpart.de/de/presse/620-umsatz-und-gewinnrueckgaenge-praegen-das-bild-der-kunst-stoffverarbeitung-in-2023

https://www.gkv.de/de/service/presse/kunststoff-verarbeitende-industrie-fordert-wachstumsagenda.html

 

 

 

 

 

Bild: erstellt mit (c) DALL-E von OpenAI.

Dipl-Ing. Stefan Schmidt

Geschäftsführer der KIMW-Management GmbH, die sich vornehmlich um die organisatorische und strategische Ausrichtung der Institutsgruppe mit seinen sechs  Unternehmensgruppierungen verantwortlich zeichnet.

https://www.polymer-forum.de/referenten/personen/Schmidt-Stefan.php

 

 

 

Klaus Weßing

Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung e.V.