Adaptive Governance
Führung als Architektur
infpro Magazin DIALOG, 2025, Nr. 06

Enthalten in Publikation
infpro Magazin DIALOG – KI trifft deutschen Mittelstand
„Der Stanford-Ökonom Erik Brynjolfsson (Human-Centered AI Institute) betont seit Jahren, dass der Erfolg von KI-Projekten nicht allein von der Technologie abhängt, sondern von der Führungsstruktur, die sie trägt. Maschinelles Lernen könne nur dann transformativ wirken, wenn es von der Unternehmensspitze strategisch verankert werde – vor allem, weil jede Veränderung eines Geschäftsbereichs unweigerlich Anpassungen in den übrigen Teilen der Organisation nach sich ziehe.(nach Brynjolfsson, zitiert nach Salesforce AI Quotes, 2024)
Künstliche Intelligenz verspricht Geschwindigkeit, Präzision und Effizienz. Doch in der Praxis scheitern viele Unternehmen an einem banalen Grund: Sie werden von ihrer eigenen Organisation überholt. Während Maschinen lernen, in Echtzeit zu reagieren, verharren Führungsstrukturen in Routinen des 20. Jahrhunderts – hierarchisch, linear, kontrollorientiert. Die Folge: Das Denken der Technik passt nicht mehr zur Logik der Führung. Führung als Architektur BCG bezeichnet dieses neue Modell als „Adaptive Governance“: Führung gestaltet nicht mehr einzelne Entscheidungen, sondern die Regeln, nach denen entschieden wird. Die Aufgabe des Managements besteht darin, Kontext zu erzeugen – jene Rahmenbedingungen, in denen Daten zu Wissen und Wissen zu Handeln werden kann. Wenn Führung zu langsam denkt. Führung im industriellen Zeitalter war ein Top-down-System. Entscheidungen folgten Berichtswegen, Informationen liefen auf, wurden verdichtet und wieder verteilt. KI aber funktioniert horizontal: Sie verbindet Datenströme aus Einkauf, Produktion, Wartung und Vertrieb, erkennt Muster über Abteilungsgrenzen hinweg – und stellt damit die Hierarchie des Wissens infrage.Damit wandelt sich die Rolle der C-Suite. Sie wird nicht technischer, sondern architektonischer. Sie muss verstehen, wie die Organisation denkt, bevor sie KI beauftragt, zu denken. In klassischen Unternehmen werden Daten gesammelt, analysiert, präsentiert. In zukunftsfähigen Organisationen werden sie interpretiert, kontextualisiert und korrigiert. Das klingt nach Semantik, ist aber Ökonomie: Nur wo Daten Bedeutung haben, entsteht Wert. Von Command zu Context. Traditionelle Führung beruht auf Befehl, Kontrolle und Planung. Doch KI operiert probabilistisch – sie rechnet nicht mit Gewissheiten, sondern mit Wahrscheinlichkeiten. Eine Führungskraft, die weiterhin absolute Antworten verlangt, produziert Unverständnis im System. Die neue Führungsform ist kontextuell statt hierarchisch. Sie schafft Räume, in denen Maschinen und Menschen Wissen austauschen können, ohne dass einer von beiden „Recht haben“ muss. Das ist das, was BCG als Adaptive Governance bezeichnet: Ein Unternehmen, das lernt, mit Ambiguität zu führen.Ab Mitte November verfügbar. Mehr erfahren →
Operativer Kontext: Warum Daten allein nicht ausreichen
Kontext ist mehr als nur Metadaten. Er umfasst alles, von Maschinenstatus, Materialfluss und Rezepteinstellungen bis hin zu Bediener-, Schicht- und Wetterbedingungen. Die IDC-Studie unterstreicht, dass der Kontext die gesamte Produktionsumgebung umfasst, in der eine geringfügige Änderung der Parameter einer Linie eine Krise in einer anderen signalisiert. Dennoch schätzt der Manufacturing Leadership Council, dass die meisten realen Fertigungsdaten immer noch ungenutzt bleiben. Wenn der Kontext übersehen wird, neigt die KI zu teuren Fehlern – sie klassifiziert Prozessrauschen als Fehler oder übersieht echte Signale für Verbesserungen.
Contextual AI bedeutet: Künstliche Intelligenz, die den Zusammenhang versteht, in dem Daten entstehen.
Sie erkennt nicht nur Muster, sondern Bedeutung – sie weiß, warum etwas passiert, nicht nur dass es passiert.
Beispiel: Steigt in einer Fertigungslinie die Temperatur, meldet klassische KI eine Abweichung.
Contextual AI erkennt den Grund: neues Material, Schichtwechsel oder Reinigungsprozess. Das System unterscheidet zwischen Fehler und erklärbarer Variation.
Contextual AI kombiniert drei Ebenen:
- Maschinendaten – Sensoren, Steuerungen, Echtzeitmesswerte
- Prozessdaten – Aufträge, Reihenfolgen, Materialien
- Menschliches Wissen – Kommentare, Ursachen, Entscheidungen
- So entsteht ein „Operational Context“ – ein digitales Gedächtnis der Fabrik.
Nutzen:
- Vermeidet Fehlalarme und blinde Optimierungen
- Beschleunigt Ursachenanalysen
- Verbindet Mensch und Maschine in einem gemeinsamen Lernprozesse
Infokasten: Was ist Contextual AI?
Künstliche Intelligenz, die den Zusammenhang versteht – nicht nur die Zahlen.
Contextual AI ist KI mit Kontextbewusstsein. Sie erkennt nicht nur Muster, sondern Bedeutung – sie versteht, warum etwas passiert, nicht nur dass es passiert.
BeispielSteigt die Linientemperatur, meldet klassische KI eine Abweichung. Contextual AI kennt den Grund: neues Material, Schichtwechsel oder Reinigung. Sie unterscheidet zwischen Fehler und erklärbarer Variation.
FunktionsweiseVerknüpft Maschinendaten (Sensoren), Prozessdaten (Aufträge, Reihenfolge, Materialien) und menschliches Wissen (Kommentare, Ursachen, Entscheidungen) zu einem Operational Context – dem digitalen Gedächtnis der Fabrik.
Klassische KI | Contextual AI |
---|---|
Rechnet mit Daten | Versteht Situationen |
Erkennt Muster | Erkennt Ursachen |
Reagiert auf Abweichungen | Interpretiert Abweichungen |
Arbeitet isoliert | Lernt im Kontext (Human-in-the-Loop) |
Braucht strenge Kontrolle | Schafft Vertrauen durch Erklärbarkeit |
Weniger Fehlalarme, schnellere Ursachenanalyse, gemeinsame Lernschleifen von Mensch und Maschine, messbare Effekte auf OEE, Ausschuss und Durchlaufzeit.