Wie KI und Robotik die Produktion bis 2035 transformieren werden.
Ein Beitrag von Klaus Weßing.
Das Ende der menschlichen Hand? Was passiert, wenn 80 Prozent der Fabrikarbeit von KI und Robotern übernommen werden – und Deutschland noch immer von gestern redet
Ein leiser Umbruch mit lauten Folgen
Die Nachricht kam beiläufig, fast beiläufig genug, um überhört zu werden. Auf der Computex in Taipeh erklärte Foxconn-Chef Young Liu, dass bis 2035 rund 80 Prozent der Fabrikarbeit durch KI und Robotik erledigt werden könnten. Nicht als These, sondern als Plan. Nicht als Science-Fiction, sondern als Geschäftsgrundlage.
Was wie eine Randnotiz wirkt, ist in Wahrheit ein Erdrutsch. Denn was passiert, wenn das industrielle Rückgrat Deutschlands – die Produktion – in einer solchen Größenordnung automatisiert wird? Wenn der Mensch nicht mehr gebraucht wird, um zu montieren, prüfen, verpacken? Wenn Maschinen nicht nur effizienter, sondern auch autonomer entscheiden?
Diese Fragen betreffen nicht nur das Werkstor, sondern das ganze Land.
Produktivität ohne Menschen?
Deutschland lebt von der industriellen Wertschöpfung. Noch. Der Exportüberschuss, die Beschäftigungsquote, die Innovationskraft – all das fußt auf einer leistungsfähigen, global vernetzten Produktionswirtschaft. Doch diese ist im Umbruch. KI-Systeme erkennen Fehler, bevor sie entstehen. Roboterarme arbeiten im Takt von Mikrosekunden. Digitale Zwillinge simulieren Produktionslinien, bevor ein Werkstück das Band berührt.
In immer mehr Betrieben schrumpft der Bedarf an menschlicher Handarbeit – nicht aus Bosheit, sondern aus betriebswirtschaftlicher Logik. Der technologische Fortschritt wird nicht gestoppt, sondern beschleunigt. Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob Maschinen übernehmen – sondern, was das für den Sozialstaat, die Gesellschaft und den Wohlstand bedeutet.
Ein Sozialstaat unter Druck
Das deutsche Sozialversicherungssystem basiert auf Erwerbsarbeit. Wer arbeitet, zahlt ein – wer nicht, wird gestützt. Dieses Modell gerät ins Wanken, wenn Millionen Arbeitsstunden durch Maschinen ersetzt werden. Die Beitragsbasis bricht ein, während die Ausgaben steigen – etwa für Weiterbildung, Grundsicherung oder Frühverrentung. Ohne tiefgreifende Reformen droht ein strukturelles Finanzierungsdefizit.
Diskutiert wird längst über neue Ansätze: eine Wertschöpfungsabgabe für vollautomatisierte Betriebe, eine Digitalsteuer auf algorithmengestützte Prozesse, ein Umbau hin zu steuerfinanzierter Grundsicherung. Noch bleibt alles vage. Doch mit jedem Prozentpunkt Automatisierung wächst der Handlungsdruck.
Gesellschaftliche Sprengkraft
Die technologische Disruption birgt nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Risiken. Menschen verlieren nicht nur Jobs, sondern auch soziale Funktionen, Identität und Teilhabe. Wer nicht in der Lage ist, sich neu zu qualifizieren, wird abgehängt. Neue soziale Ungleichheiten drohen – nicht mehr entlang von Bildung oder Herkunft, sondern entlang der Frage: Wer versteht die Maschine?
Der soziale Aufstieg, einst durch Fleiß und Können erreichbar, wird in Zukunft durch Digitalverständnis und Systemintelligenz entschieden. Bildung wird zur neuen Klassengrenze.
Wohlstand braucht Steuerung
Automatisierung ist kein Selbstzweck. Sie muss eingebettet sein in ein System, das technologische Effizienz mit gesellschaftlicher Verantwortung verbindet. Deutschland kann von der KI-Revolution profitieren – wenn es gelingt, die Wertschöpfung im Land zu halten, die Menschen mitzunehmen und die Technologie als Werkzeug des Fortschritts zu nutzen, nicht als Ersatz des Sozialen.
Doch bislang fehlt der politische Kompass. Es gibt keine nationale Automatisierungsstrategie, keine systematisch koordinierte Weiterbildungsoffensive, keine industriepolitisch abgestimmten Investitionsprogramme für smarte Transformation. Die deutsche Industrie steht an der Schwelle zur neuen Zeit – aber das politische System wirkt, als stünde es noch im Maschinenraum von gestern.
Was jetzt zu tun ist – fünf strategische Prioritäten
- Bildung neu denken
Schulen und Berufsausbildungen müssen auf Systemverständnis, Datenkompetenz und kreative Problemlösung ausgerichtet werden. MINT-Fächer gehören nicht in Förderprojekte, sondern in die Kerncurricula. - Weiterbildung verpflichtend verankern
Betriebliche Weiterbildung braucht gesetzlichen Rahmen, steuerliche Anreize und flexible Formate. Wer heute qualifiziert ist, ist es morgen nicht mehr – das muss auch der Gesetzgeber anerkennen. - Sozialversicherungen reformieren
Statt an Lohnarbeit zu hängen, sollte das System an Gesamtwertschöpfung anknüpfen. Maschinen, Algorithmen und digitale Services müssen einen Beitrag leisten – nicht nur zur Produktivität, sondern auch zur Stabilität. - Industriepolitik mit digitalem Fokus
Europa braucht eigene Plattformen, Standards und KI-Systeme. Wer sich auf importierte Technologie verlässt, wird auch die Arbeitsplätze von morgen importieren müssen. - Gesellschaftliche Debatte anstoßen
Was bedeutet Arbeit im Zeitalter der Maschine? Welche Form von Teilhabe wollen wir? Wer profitiert – und wer verliert? Diese Fragen müssen in den Mittelpunkt rücken – nicht nur bei Wirtschaftskonferenzen, sondern auch in Talkshows, Stadträten und Familien.
Fazit: Der Moment ist jetzt
Die Technik ist bereit. Die Industrie ist in Bewegung. Doch ohne politischen Willen, strategische Steuerung und gesellschaftliche Beteiligung droht Deutschland, seine größte Stärke – die industrielle Wertschöpfung – aus der Hand zu geben.
Wir stehen nicht am Rand einer Veränderung. Wir stehen mitten in ihr.

Eine europäische Perspektive
Für Deutschland und Europa bedeutet das: Wir müssen unsere industrielle Wettbewerbsfähigkeit neu definieren. Nicht durch noch mehr Effizienz allein, sondern durch kluge Kombinationen aus KI, Robotik, Weiterbildung und sozialer Innovation. Die Zeit der Leuchtturmprojekte ist vorbei – wir brauchen vernetzte Ökosysteme, eine KI-Strategie mit internationaler Strahlkraft.
Technologieoffenheit statt Silodenken. Forschung in der Fläche statt vereinzelter Exzellenz. Datenteilung und Standards statt proprietärer Lösungen. Reskilling und Upskilling statt Arbeitsplatzverlust. Es ist ein Strukturwandel, der kein rein technisches Projekt ist, sondern ein gesellschaftlicher Prozess.
2035 – Eine mögliche Realität
Stellen wir uns vor: Im Jahr 2035 arbeiten in den modernsten Werken Europas Mensch und KI Hand in Hand. Der Mensch wird nicht ersetzt, sondern aufgewertet – als Entscheider, Entwickler, Versteher. Produktionshallen sind vernetzt mit Lernplattformen, in denen Beschäftigte mit jedem Prozessschritt dazulernen. Jede Maschine liefert Daten – und jeder Mensch gibt dem System Kontext. Ein System, das nicht nur effizient ist, sondern resilient, nachhaltig und menschlich.
„80 Prozent Automatisierung“ – das ist keine Drohung. Es ist eine Einladung, die Produktion neu zu denken. Die Technologien sind bereit. Die Frage ist: Sind wir es auch?
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Die Fabrik denkt jetzt selbst
Was passiert, wenn in Deutschland 80 Prozent der Produktion von KI und Robotern übernommen werden – und was nicht.
Im Jahr 2025 ist das Wort „Transformation“ ein Zitat geworden. Jeder gebraucht es, wenige gestalten es. Die Industrie spricht von digitaler Disruption, die Politik von Resilienz, Gewerkschaften von Sicherheit. Doch in den Werkshallen, in denen es früher nach Öl und Eisen roch, passiert längst etwas anderes: Die Maschinen übernehmen.
Nicht schlagartig. Nicht feindlich. Sondern leise, effizient, präzise. Und wenn man Foxconn-Chef Young Liu glaubt, dann stehen wir gerade erst am Anfang. Seine Prognose: Bis 2035 erledigen generative KI und Robotik rund 80 Prozent der weltweiten Fabrikarbeit. Eine Zahl, die weniger über Maschinen aussagt – als über Menschen.
Was heißt das für ein Land wie Deutschland, das seinen Wohlstand auf genau dieser Arbeit gebaut hat?
Die große Entlastung
Zunächst ist da ein Versprechen. Die monotonen Tätigkeiten, die schmerzhaften Wiederholungen, das Verschleißen von Körpern – all das wird in Zukunft von Software und Servos erledigt. Der Roboter schweißt ohne Pause. Die KI entdeckt Fehler, bevor sie entstehen. Die Fertigung wird zur Echtzeit-Choreografie, orchestriert durch Algorithmen, überwacht von digitalen Zwillingen.
Manche nennen das Fortschritt. Andere: Entfremdung. Denn wo Maschinen präzise arbeiten, stellt sich die alte Frage neu: Wofür braucht es uns noch?
Der Mensch bleibt – aber anders
Die einfache Antwort lautet: für das, was Maschinen nicht können. Für das Improvisierte, das Emotionale, das Ungeplante. Für das ethisch Abwägende. Für das Menschliche.
Doch diese Antwort ist bequem. Denn sie übersieht, dass all das nicht von selbst geschieht. Der Mensch wird nicht automatisch unersetzlich – er muss es erst werden. Das heißt: Bildung. Umdenken. Umlernen. In einer Welt, in der Maschinen Routine übernehmen, wird der Mensch zur Ausnahme – und muss genau darin brillieren.
Der Sozialstaat als Rechenzentrum
Deutschlands Sozialstaat ist ein kollektives Versprechen. Wer arbeitet, zahlt ein. Wer nicht arbeiten kann, wird aufgefangen. Dieses Modell funktioniert – solange Arbeit in Lohn und Beitrag übersetzt werden kann.
Aber was passiert, wenn die Arbeit verschwindet, weil sie automatisiert wurde?
Dann fehlen Beiträge. Dann wächst der Druck. Dann stellt sich die Frage, ob nicht auch der Sozialstaat ein Update braucht – etwa durch neue Modelle der Finanzierung: digitale Dividenden, Maschinensteuern, eine gerechtere Verteilung technologischer Wertschöpfung. Es geht nicht um Umverteilung aus Mitleid, sondern um eine neue Logik von Teilhabe: Wer nicht mehr arbeitet, weil es keinen Bedarf gibt, darf nicht dafür bestraft werden.
Die Gesellschaft zwischen Upgrade und Ausschluss
In jeder Transformation liegt ein Versprechen – und eine Gefahr. Die Gefahr besteht darin, dass viele Menschen das Upgrade nicht schaffen. Nicht, weil sie nicht wollen. Sondern weil das System sie nicht mitnimmt. Die Bildungspolitik ist träge. Die Betriebe überfordert. Die öffentliche Debatte von gestern.
Dabei wäre genau jetzt der Moment, um die neue industrielle Revolution gesellschaftlich zu verhandeln. Nicht nur als technologische Herausforderung. Sondern als kulturelle Aufgabe. Wie wollen wir leben, wenn Arbeit nicht mehr Pflicht, sondern Option ist? Was heißt Leistung, wenn Maschinen die bessere Produktivität liefern? Und was heißt Würde, wenn man nicht mehr gebraucht wird?
2035: Eine mögliche Realität
Vielleicht sieht Deutschland in zehn Jahren so aus: Die Fabriken arbeiten rund um die Uhr, emissionsarm, weitgehend menschenleer. Der Mensch sitzt nicht mehr am Band, sondern am Terminal. Oder er pendelt zwischen Weiterbildung, Projektarbeit und gesellschaftlichem Engagement. Arbeit ist nicht mehr Taktgeber des Lebens, sondern eine von vielen Ausdrucksformen. Wohlstand entsteht nicht durch Präsenz, sondern durch Präsenz in der richtigen Funktion.
Oder es kommt anders. Die Maschinen laufen, aber die Gesellschaft stockt. Die einen profitieren, die anderen verlieren. Es entstehen neue Klassen – nicht mehr aus Kapital, sondern aus Code. Es wird nicht mehr gefragt, wo jemand arbeitet, sondern ob er überhaupt noch dazugehört.
Und jetzt?
Die Frage ist nicht, ob 80 Prozent der Fabrikarbeit durch KI und Robotik erledigt werden. Die Technik wird das möglich machen. Die Frage ist: Wer gestaltet das „Danach“?
Politik, die den Mut hat, neue Sicherungssysteme zu denken. Bildung, die sich nicht als Pflicht, sondern als Chance begreift. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht nur digitalisieren, sondern mitnehmen.
Und eine Gesellschaft, die sich traut, etwas loszulassen: das Bild vom Menschen als reines Arbeitswesen. Vielleicht beginnt Wohlstand nicht bei der Maschine – sondern bei der Erkenntnis, was wir wirklich brauchen.
Bild: Erstellt mit (c) DALL-E von OpenAI.

Klaus Weßing
Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung e.V.
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