Time to say good-bye.
KI und Führung.
Ein Beitrag von Klaus Weßing
Vor wenigen Tagen fragte das Handelsblatt provokant: „Das Ende der Manager?“ Eine Schlagzeile, die sitzt – und doch mehr über das Unbehagen unserer Zeit erzählt als über den Stand der Technik. Die Vorstellung, Maschinen könnten die Führung übernehmen, ist so alt wie die Angst vor dem Kontrollverlust selbst. Aber diesmal scheint sie plausibler. Künstliche Intelligenz rechnet schneller, weiß mehr, irrt seltener – und verlangt weder Bonus noch Beförderung.
Der amerikanische Manager Bill McDermott, früher Vorstandsvorsitzender von SAP und heute Chef des Cloudanbieters ServiceNow, lässt sich bereits täglich von seiner KI informieren. „Wie läuft es in diesem Quartal?“, fragt er ins Smartphone. Sekunden später liefert das System Kennzahlen, Risiken, Projektionen. „Ich habe das Gefühl, genau zu wissen, was vor sich geht“, sagt McDermott. Für ihn ist KI nicht nur Werkzeug, sondern Führungsprinzip: „Unternehmen können mit weniger Hierarchieebenen gut geführt werden.“ Das klingt nach Effizienz – aber auch nach einer stillen Machtverschiebung. Wenn der Algorithmus schon alles weiß, wozu dann noch die vielen Ebenen dazwischen?
Das Paradox der Automatisierung
Künstliche Intelligenz wird fast ausschließlich von jenen eingeführt, die durch sie am wenigsten ersetzt werden wollen. Sie kommt top-down – als „Digitalstrategie“, „Produktivitätsoffensive“ oder „Transformationsprogramm“ – und trifft die operative Basis, nicht die strategische Spitze. Es sind Manager, die KI einsetzen, um Prozesse zu automatisieren, aber nicht, um Macht zu teilen. Automatisiert wird dort, wo Effizienz messbar ist – nicht dort, wo Einfluss verhandelt wird. Denn die Ökonomie folgt der Rationalität der Kosten, die Politik der Rationalität der Kontrolle. Und Kontrolle bleibt menschlich – zumindest solange Menschen über Menschen entscheiden.
Laut einer aktuellen Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lassen sich rund 67 Prozent der Aufgaben von Führungskräften automatisieren – im mittleren Management sogar noch mehr. „Wer sich nur mit Excel-Tabellen und Genehmigungen beschäftigt, wird so nicht mehr gebraucht“, sagt Britta Mattes, Leiterin der IAB-Forschungsgruppe „Berufe in der Transformation“.
Das trifft den Nerv. Denn genau dort, wo Verwaltung zur Routine geworden ist, wird KI zur natürlichen Nachfolgerin. Besonders betroffen ist die mittlere Ebene – jene Zone zwischen Strategie und Ausführung, in der Kontrolle, Reporting und Organisation die meiste Zeit beanspruchen. Hier entstehen keine Visionen, hier werden Vorgaben weitergereicht. Und genau das kann die Maschine perfekt.
Die Angst der Klügeren
Dass viele Führungskräfte auf die Frage des Handelsblatts mit Sorge reagieren, ist verständlich. KI ist der Traum aller Aufsichtsräte und die Nemesis jedes Machtmenschen: Sie arbeitet ohne Eitelkeit, kennt keine Müdigkeit, hinterfragt jede Entscheidung – und lässt sich nicht bestechen. Sie könnte in Sekunden Marktanalysen, ESG-Kennzahlen und geopolitische Risiken abgleichen, Budgets berechnen und Zielkonflikte sichtbar machen. Doch gerade deshalb wird sie nie Chef.
Nicht, weil sie es nicht kann, sondern weil sie niemand verantwortlich machen kann, wenn sie irrt. Das Management bleibt nicht wegen seiner Genialität, sondern wegen seiner Haftbarkeit.
Führung ist keine technische, sondern eine soziale Funktion. Ein Vorstand verkörpert Legitimation – nach außen gegenüber Kapitalmarkt, Politik und Medien, nach innen gegenüber der Belegschaft. Er repräsentiert das Versprechen, dass Entscheidungen nicht nur richtig, sondern auch gerechtfertigt sind. Eine KI kann begründen, aber nicht begründen warum. Sie besitzt Rationalität, aber keine Bedeutung.
Vom Steuerzentrum der Organisation
Im Steuerzentrum der Organisation verändern sich die Rollen leise, aber unumkehrbar. Was früher der Maschinenraum war – der Ort des sichtbaren Tuns – ist heute ein Netzwerk aus Systemen, Schnittstellen und lernenden Modellen. Hier entsteht Führung neu: nicht als Befehlskette, sondern als Feedbackschleife. Die Prozesse lernen, sich selbst zu steuern. Und die Systeme, die heute Abweichungen korrigieren, werden morgen Strategien vorschlagen.
Aber warum sollte der Wandel beim „Manager“ enden? Wenn KI Produktionslinien steuert, Lieferketten optimiert, Risikoentscheidungen vorbereitet und Vorstandsberichte schreibt – warum sollte sie nicht auch die Titel darunter effizienter ausfüllen? Warum nicht gleich den COO, CFO oder CIO automatisieren? Sie alle sind Funktionslogiken, die auf Daten beruhen. Und genau das kann KI längst besser: planen, rechnen, simulieren. Doch Macht ist kein Algorithmus. Sie lebt von Verantwortung – und die bleibt menschlich, solange sich jemand finden muss, der sie trägt.
Je weiter man hinaufblickt, desto offensichtlicher wird das Paradox: Die KI könnte fast jede Funktion unterhalb des Vorstandsvorsitzes präziser, schneller und billiger ausführen – und doch wird sie es nicht tun, weil Macht nicht aus Logik entsteht, sondern aus Legitimation. In den Vorstandsetagen bleibt die KI Beraterin, nicht Erbin. Sie kennt keine Öffentlichkeit, keine Verantwortung, keinen Takt. Sie kann den Kurs berechnen – aber nicht den Kurs halten, wenn das Meer aufwühlt.
Die alte Angst – und ihr moderner Kern
Die Debatte über das „Ende der Manager“ ist die Fortsetzung einer anthropologischen Angst mit technischen Mitteln. Es ist die Furcht, dass etwas entstehen könnte, das klüger, gerechter und billiger ist – und keine Boni verlangt. Doch Intelligenz ohne Bewusstsein bleibt Mechanik. KI kann rechnen, aber nicht urteilen; sie kann lernen, aber nicht verstehen. Sie weiß alles, nur nicht, warum.
Deshalb ist die These vom Ende der Manager keine Drohung, sondern ein Weckruf. Nicht die Technik bedroht das Management, sondern das Management, das glaubt, Technik sei Bedrohung. Führung verschwindet nicht, weil KI klüger ist, sondern weil Menschen aufhören, sie zu praktizieren. Die Maschine ersetzt nicht die Führung – sie misst sie.
Vom Algorithmus zur Verantwortung
Je tiefer KI in die Strukturen vordringt, desto sichtbarer wird, was Führung wirklich ausmacht. Nicht Kontrolle, sondern Kuratierung. Nicht Anweisung, sondern Ausrichtung. Nicht Macht, sondern Bedeutung. Die Manager der Zukunft werden nicht an der Zahl ihrer Mitarbeiter gemessen, sondern an der Qualität ihrer Entscheidungen im Zusammenspiel mit Maschinen. Ihre Aufgabe ist nicht, Daten zu besitzen, sondern sie zu verstehen. Und ihre größte Kompetenz wird nicht technische, sondern ethische sein.
Vielleicht also hat das Handelsblatt recht – nur anders, als es meint. Das Ende der alten Manager mag begonnen haben, aber nicht das Ende der Führung. KI wird keine Vorstände ersetzen. Aber sie könnte dafür sorgen, dass sie ihr Geld endlich wert sind. Denn die Maschine kann rechnen – doch denken, das muss der Mensch.
Bilder: Susanne O´Leary, erstellt mit (c) DALL-E von OpenAI.

Klaus Weßing
Vorstand infpro