Draghis Masterplan für eine neue europäische Industriestrategie.
Ein Beitrag von Klaus Weßing.
Die Zukunft der europäischen Produktion steht auf dem Prüfstand. Die EU befindet sich im wirtschaftlichen Krisenmodus, ja im „langsamen Todeskampf“. Mit diesen drastischen Formulierungen garniert Mario Draghi, der Beauftragte der EU-Kommission für Wettbewerbsfähigkeit, seinen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Für den Italiener steht fest: „Die Produktivitätslücke zu Amerika sei zu groß, der Anteil an öffentlichen und privaten Investitionen zu gering, die Alterung bedrohlich, der technologische Rückstand gegenüber einem größeren Teil der Welt wachse,“ wie es die F.A.Z. formuliert.
Die Botschaft ist eindeutig: Ohne massive Investitionen und technologische Innovationen wird Europa im globalen Wettbewerb zurückfallen. Draghis Vorschläge, die auf jährliche Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro abzielen, haben Wellen geschlagen. Während einige den Bericht als dringend benötigten Weckruf für die EU sehen, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Wir brauchen massive Investitionen, umfassende Reformen und eine Stärkung der Resilienz. Wir sollten jetzt handeln, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und Wohlstand zu sichern. Deshalb sollten wir jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern den Bericht ernst nehmen,“ gibt es aber auch erhebliche Bedenken bezüglich der Umsetzung und Finanzierung solcher ambitionierten Pläne.
Ohne Frage, der Bericht von Mario Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit Europas hat die Diskussion um die Zukunft der europäischen Produktion neu entfacht. Als Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung (infpro) sehe ich in diesem Bericht einen wertvollen Impuls, der viele der Themen aufgreift, die auch uns seit Jahren beschäftigen. Die Notwendigkeit, Europas Produktion effizienter und technologisch fortschrittlicher zu gestalten, ist zentral für den Erhalt und die Stärkung unserer industriellen Basis.
Draghi betont zurecht, dass es ohne massive Investitionen in Digitalisierung, Automatisierung und grüne Technologien schwierig sein wird, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Diese Ziele decken sich mit unseren langjährigen Forderungen nach einer stärkeren Fokussierung auf Industrie 4.0, der Optimierung von Produktionsprozessen und der Nutzung moderner Technologien. Gerade in Hochlohnländern wie Deutschland ist es entscheidend, durch technologische Innovationen wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wir bei infpro unterstützen die Idee, dass eine koordinierte Industriepolitik und schnellere Entscheidungswege essenziell sind. Gleichzeitig ist es uns wichtig, dass die Umsetzung dieser Vorschläge praxisnah gestaltet wird. Investitionen müssen so ausgerichtet sein, dass sie sowohl großen Industrien als auch kleinen und mittelständischen Unternehmen zugutekommen. Nur so kann eine nachhaltige Zukunft für den europäischen Produktionssektor gewährleistet werden.
In meinem Beitrag werfe ich einen kurzen Blick auf drei Punkte, die für uns als Institut für Produktionserhaltung (infpro) wichtig sind und skizziere, wie wir diese bewerten.
1. Produktivität als Kern des Erfolgs
Europas Produktionssektor muss deutlich effizienter werden, um international bestehen zu können. Innovative Produktionstechnologien und eine ständige Verbesserung der Effizienz sind der Schlüssel. Dabei sind nicht nur moderne Maschinen entscheidend, sondern auch die Beseitigung von Verschwendung und die Optimierung bestehender Prozesse durch Digitalisierung und Automatisierung.
Das Institut für Produktionserhaltung (infpro) betont schon lange die Notwendigkeit, die Effizienz in der europäischen Produktion zu steigern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei konzentriert sich das Institut besonders auf die Optimierung bestehender Prozesse durch Digitalisierung und Automatisierung. Moderne Maschinen allein reichen nach infpro nicht aus; vielmehr müssen Prozesse und Produktionsabläufe durch Industrie 4.0-Technologien schlanker, effizienter und nachhaltiger gestaltet werden.
infpro sieht dabei vor allem Potenziale in der Anwendung von Lean-Prinzipien und der Nutzung von Digitalisierungsstrategien wie Künstlicher Intelligenz und vernetzten Systemen. Eine Studie des Instituts zeigt, dass durch eine konsequente Anwendung dieser Technologien enorme Wertschöpfungspotenziale freigesetzt werden können – allein in der deutschen Industrie könnten jährlich bis zu 95 Milliarden Euro an zusätzlichen Wertschöpfungen generiert werden.
Zusammengefasst steht infpro also hinter der Forderung nach höherer Effizienz, sieht aber nicht nur in neuen Maschinen den Schlüssel, sondern vielmehr in der Integration moderner Digitalisierungsstrategien und Prozessoptimierungen als Teil einer umfassenden Produktionsstrategie
2. Technologie als Motor für die Zukunft
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen in neue Produktionssysteme investieren, die auf fortschrittlichen Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Robotik und maschinellem Lernen basieren. Technologie, insbesondere in Form von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz, wird als entscheidender Faktor für wirtschaftliches Wachstum, zur Stärkung der Resilienz von Produktionsketten und Volkswirtschaften, der Effizienzsteigerung und globalen Wettbewerbsfähigkeit angesehen.
infpro unterstützt diesen Punkt, insbesondere in Bezug auf die Industrie 4.0. Hier liegt der Fokus auf Technologien, die die Produktionsprozesse revolutionieren, indem sie intelligente und vernetzte Systeme in die Fertigung integrieren. Dies ermöglicht höhere Flexibilität, Effizienz und Qualität. Die konsequente Umsetzung digitaler Technologien in der Produktion kann enorme Potenziale zur Steigerung der Wertschöpfung heben.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Mario Draghi zum Bericht über die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU formuliert es EU-Präsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Begrüssungsrede sehr treffend, wenn sie sagt: „Wir sind uns darin einig, dass wir mehr Fähigkeiten brauchen, denn die Technologien sind nur so gut wie die Menschen, die sie entwerfen, herstellen und natürlich bedienen. Wir müssen mehr in Fähigkeiten investieren und mehr Menschen, die über die für den ökologischen und digitalen Wandel benötigten Kompetenzen verfügen, in Arbeit bringen.“
Doch wir sind der Meinung, dass Technologie allein nicht ausreichen wird, wenn nicht gleichzeitig auch soziale und strukturelle Veränderungen erfolgen. Neben Investitionen in Technologien sind Bildungsreformen und die Entwicklung neuer Fähigkeiten in der Arbeitswelt erforderlich, um das volle Potenzial der Digitalisierung und Automatisierung auszuschöpfen.
3. Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung
Die Forderung nach jährlichen Investitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro in Digitalisierung und grüne Technologien, wie Mario Draghi sie in seinem Bericht vorschlägt, wird von vielen Experten als notwendig, aber ambitioniert betrachtet. Zwar sehen zahlreiche Wirtschaftsexperten die Notwendigkeit massiver Investitionen in diesen Bereichen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern, doch stellt sich die Frage, ob solche Summen realistisch mobilisiert werden können.
Die benötigten Investitionen stellen eine enorme Herausforderung dar, insbesondere angesichts der bereits angespannten Haushaltslagen vieler europäischer Staaten. Ein Großteil dieser Gelder müsste aus öffentlichen Mitteln sowie privaten Investitionen aufgebracht werden. Draghi selbst weist darauf hin, dass die EU nicht nur auf öffentliche Finanzierung setzen kann, sondern auch private Investoren ins Boot holen muss. Es gibt aber auch politische Hürden, da einige Mitgliedstaaten, wie Deutschland, Vorbehalte gegenüber einer gemeinsamen Schuldenaufnahme innerhalb der EU haben.
Effekt auf die Produktion
Was den direkten Einfluss auf die Produktion betrifft, sind viele Experten zuversichtlich, dass Investitionen in Technologien wie Digitalisierung, Automatisierung und grüne Technologien die Produktivität signifikant steigern können. Diese Investitionen würden es europäischen Unternehmen ermöglichen, effizienter zu produzieren und gleichzeitig den CO₂-Fußabdruck zu verringern.
In einer Studie des Institut für Produktionserhaltung (infpro) wurde beispielsweise festgestellt, dass die konsequente Umsetzung von Technologien wie Industrie 4.0 erhebliche Wertschöpfungspotenziale freisetzen könnte. infpro sieht hier mittel- und langfristig positive Effekte, um durch diese Investitionen die Produktionskapazitäten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken, vor allem in den Hochlohnländern wie Deutschland, wo technologische Effizienz besonders wichtig ist. Doch es bleibt abzuwarten, ob die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden können, um diese Summen zu realisieren und die gewünschten Effekte zu erzielen.
Für mich ist der Bericht von Mario Draghi eine klare und mutige Vision für die Zukunft der europäischen Produktion formuliert. Die geforderten massiven Investitionen in Digitalisierung und grüne Technologien sind nicht nur wünschenswert, sondern zwingend notwendig, um den globalen Anschluss nicht zu verlieren. Als Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung (infpro) teile ich die Einschätzung, dass ohne tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Industriepolitik und eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet ist.
infpro begrüßt die Richtung des Berichts, sieht jedoch die dringende Notwendigkeit, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen mit einem realistischen Umsetzungsplan unterlegt werden. Es gilt sicherzustellen, dass sowohl Großindustrien als auch kleine und mittelständische Unternehmen gleichermaßen von diesen Investitionen profitieren. In Anbetracht der globalen Herausforderungen ist es nicht genug, nur zu reagieren; Europa muss eine führende Rolle in der technologischen und nachhaltigen Transformation übernehmen.
“Die Zukunft wird nicht vorhergesagt, sie wird gestaltet.” – Dieses Zitat, dass dem Managementtheoretiker Peter Drucker zugeschrieben wird, erinnert uns daran, dass wir jetzt handeln müssen, um die Produktion in Europa zukunftsfähig zu machen. Die Weichen müssen heute gestellt werden, um morgen den globalen Herausforderungen gewachsen zu sein.
Bild: erstellt mit (c) DALL-E von OpenAI.
Klaus Weßing
Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung e.V.