Wertschöpfung schaffen – Wertschöpfung halten – Wertschöpfung loslassen.
Ein Beitrag von Klaus Weßing und Holger Kleinbaum.
Die deutsche Wirtschaft hat sich über Jahrzehnte hinweg durch ihre Fähigkeit ausgezeichnet, nachhaltige Wertschöpfung zu generieren. Vom Mittelstand bis hin zu den global agierenden Konzernen ist Deutschland für seine Innovationskraft, Qualität und Beständigkeit bekannt. Doch die Frage, die sich 2024 drängender stellt denn je, lautet: Reicht das Konzept „Wertschöpfung schaffen, erhalten, loslassen“ noch aus, um die Herausforderungen der heutigen Zeit zu bewältigen?
Peter Drucker, einer der prägendsten Managementdenker des 20. Jahrhunderts, sagte einst: „The best way to predict the future is to create it.“ Dieser Grundsatz lässt sich auf das Prinzip der Wertschöpfung übertragen. Das Schaffen neuer Wertschöpfung war und bleibt der Ausgangspunkt eines jeden unternehmerischen Erfolgs. Doch in Zeiten von rasantem technologischen Wandel und globalem Wettbewerb scheint es, dass das bloße Schaffen alleine nicht mehr ausreichend ist. Viele Unternehmen, die einst als unantastbare Marktführer galten, kämpfen heute um ihre Relevanz.
Innovation als Schlüssel zur Zukunft
Deutschland rutscht im internationalen Innovationsranking stetig ab – laut der aktuellen BDI-Roland-Berger-Studie nur noch Platz 12 von 35 Ländern, auch wenn es bei den großen Industrienationen noch Platz 2 belegt. Ein Warnsignal. Die Zeiten, in denen Deutschland sich auf seine Exportstärke und Produktionsqualität verlassen konnte, sind vorbei. Unternehmen müssen heute nicht nur physische Produkte schaffen, sondern ebenso digitale und datenbasierte Dienstleistungen.
Ein Beispiel: Siemens.
Der Technologiekonzern hat erkannt, dass er seine Wertschöpfung neu denken muss. Durch Investitionen in digitale Zwillinge und Automatisierungstechnologien hat Siemens es geschafft, neue Wertschöpfungsfelder zu erschließen. Hier zeigt sich, dass der Mut, traditionelle Geschäftsmodelle zu erweitern und in neue, zukunftsfähige Technologien zu investieren, entscheidend für das Überleben ist. Während Innovationen notwendig sind, um im Wettbewerb zu bestehen, bleibt die Herausforderung bestehen, diese Wertschöpfung auch zu erhalten. In einer Zeit, in der geopolitische Unsicherheiten, Rohstoffengpässe und Lieferkettenprobleme zunehmend den Markt dominieren, muss die deutsche Wirtschaft Lösungen finden, um Stabilität zu bewahren. Der deutsche Maschinenbau, lange eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft, steht vor genau dieser Herausforderung. Bosch Rexroth, ein führender Anbieter von Antriebstechnologien, verfolgt daher eine Doppelstrategie: Neben der Erschließung neuer digitaler Geschäftsfelder investiert das Unternehmen gezielt in die Optimierung seiner Produktionsprozesse. So bleibt die Wertschöpfung nicht nur stabil, sondern kann sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
Peter Drucker sagte: „Efficiency is doing things right; effectiveness is doing the right things.“ Unternehmen müssen nicht nur effizient bleiben, sondern auch erkennen, welche Wertschöpfung in Zukunft noch relevant ist und welche nicht mehr benötigt wird.
Loslassen: Der schwerste Schritt, aber oft der wichtigste
Die Entscheidung, bestehende Wertschöpfungsmodelle loszulassen, ist vielleicht die größte Herausforderung. Viele Unternehmen klammern sich an erprobte Modelle und Prozesse, weil sie in der Vergangenheit Erfolg brachten. Doch in einer sich so schnell verändernden Welt wie heute, müssen alte Muster regelmäßig hinterfragt werden.
Ein prominentes Beispiel ist BMW. Der deutsche Autohersteller hat über Jahre hinweg von seinen erfolgreichen Verbrennungsmotoren profitiert. Doch die zunehmende Elektrifizierung des Marktes und die wachsende Regulierung in Bezug auf CO₂-Emissionen haben BMW gezwungen, radikal umzudenken. Es ist kein einfacher Prozess, aber notwendig, um im Rennen um die Mobilität der Zukunft mitzuhalten. Die Entscheidung, in Elektromobilität und autonomes Fahren zu investieren, erforderte den Mut, traditionelle Wertschöpfung loszulassen und neue Wege zu gehen.
Drucker bringt es auch hier auf den Punkt: „If you want something new, you have to stop doing something old.“ Genau dieses Loslassen ist oft der Schlüssel, um Platz für zukünftige Innovationen zu schaffen.
Relevanz des Konzepts im Jahr 2024
Im Jahr 2024 stellt sich für Deutschland die Frage: Können wir uns weiterhin auf dieses Konzept verlassen, oder sind bereits Abstriche nötig? Die Antwort liegt vermutlich in der Fähigkeit, dieses Konzept weiterzuentwickeln. Es reicht nicht mehr, nur nach dem Dreiklang „Schaffen, Erhalten, Loslassen“ zu handeln. Wir müssen lernen, agiler, flexibler und mutiger zu werden. Der Schlüssel für die deutsche Wirtschaft wird darin liegen, diese Prinzipien nicht nur auf technologische Innovationen zu beschränken, sondern auch auf Organisationsstrukturen und Kultur. Unternehmen, die es schaffen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, sie zu stabilisieren und dann wieder loszulassen, wenn der Markt dies erfordert, werden auch in Zukunft erfolgreich sein. Die Grundprinzipien der Wertschöpfung bleiben relevant, doch sie müssen kontinuierlich an die neuen Realitäten angepasst werden. Wertschöpfung zu schaffen, zu erhalten und loszulassen, wird weiterhin der Kern unternehmerischen Handelns sein – aber nur, wenn es uns gelingt, diesen Prozess agil und flexibel zu gestalten.
In einer globalisierten Welt, die von digitaler Transformation und disruptiven Veränderungen geprägt ist, wird genau diese Fähigkeit zur Überlebensstrategie. Wie schaffen wir es, bestehende Wertschöpfung zu erhalten, ohne uns von veralteten Strukturen lähmen zu lassen? Und wie erkennen wir den richtigen Zeitpunkt, loszulassen, um Raum für Neues zu schaffen? Der Schritt, Wertschöpfung „loszulassen“, wirft zentrale Fragen auf. Was bedeutet es, Wertschöpfung loszulassen, und wann ist dies notwendig? Loslassen könnte bedeuten, Geschäftsbereiche aufzugeben, die unrentabel geworden sind, oder sich von Technologien und Prozessen zu trennen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Doch wann ist der richtige Zeitpunkt, Wertschöpfung loszulassen? Unternehmen müssen abwägen, ob es sinnvoll ist, in bestehende Geschäftsbereiche zu investieren oder sich neuen Chancen zuzuwenden. Dabei spielen technologische Entwicklungen, Marktveränderungen und globale Trends eine große Rolle.
Politiker wie Angela Merkel und Olaf Scholz haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass Deutschland sich auf seine Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit konzentrieren müsse, um den Wohlstand langfristig zu sichern. Dabei wurde indirekt auch der Prozess des Loslassens veralteter Industrien und Technologien angesprochen, um Platz für neue, zukunftsfähige Modelle zu schaffen.
Olaf Scholz‘ Argumentation, dass Deutschland zwar weiterhin in traditionelle Industrien investieren müsse, aber auch die Digitalisierung und Dekarbonisierung vorantreiben müsse, um Wertschöpfung in Zukunft sicherzustellen, geht ebenfalls in diese Richtung. Dies impliziert, dass bestimmte Industrien, die in der Vergangenheit von Bedeutung waren, ihren wirtschaftlichen Stellenwert verlieren könnten und es erforderlich ist, diese loszulassen, um neue Wertschöpfungsketten zu etablieren.
Erfolgreiche Beispiele für das Loslassen von Wertschöpfung
Nokia: Nokia war einst führend im Mobiltelefonmarkt, entschied sich jedoch, den Bereich der Mobiltelefone aufzugeben, als sie den Anschluss an die Smartphone-Ära verloren. Stattdessen verlagerte Nokia seinen Fokus auf Netzwerktechnologie, was dem Unternehmen half, sich neu zu positionieren und in einem anderen Bereich wieder zu wachsen.
IBM: IBM entschied sich, seine Hardware-Sparte (z.B. den PC-Bereich) zu verkaufen und sich auf Dienstleistungen und Softwarelösungen zu konzentrieren. Dies ermöglichte IBM, in den Bereichen Cloud Computing und KI erfolgreich zu werden, während der Hardware-Markt zunehmend von asiatischen Unternehmen dominiert wurde.
Kodak: Ein klassisches Beispiel für das verpasste Loslassen ist Kodak. Obwohl Kodak die digitale Fotografie entwickelt hatte, hielt das Unternehmen an seinem Filmgeschäft fest und verpasste den rechtzeitigen Übergang zu digitalen Technologien, was zu seinem Niedergang führte. Ein rechtzeitiges Loslassen hätte die Unternehmensgeschichte möglicherweise anders gestaltet.
Bildunterschrift: Der Riese Kodak hat nicht zum richtigen Zeitpunkt losgelassen.
Wo stehen wir heute?
Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten gemischte Erfolge beim Loslassen von Wertschöpfung gezeigt, insbesondere in Industrien, die historisch gesehen eine zentrale Rolle in der deutschen Wirtschaft gespielt haben. Die Fähigkeit, alte Wertschöpfungsmodelle aufzugeben und sich neuen Technologien und Märkten zuzuwenden, ist entscheidend für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit.
Deutschland hat in einigen Sektoren bewiesen, dass es in der Lage ist, alte Wertschöpfungsketten zu verlassen und neue zu entwickeln. Nehmen wir z.B. die Automobilindustrie und den Kohleausstieg. Mit der Umstellung auf Elektromobilität haben deutsche Autohersteller begonnen, die Abhängigkeit vom klassischen Verbrennungsmotor aufzugeben. Unternehmen wie Volkswagen und BMW investieren stark in Elektromobilität und autonome Fahrzeuge, was einen Schritt in Richtung neuer Wertschöpfung darstellt.
Der Kohleausstieg bis 2038 ist ein markantes Beispiel dafür, dass Deutschland bereit ist, eine historische Industrie aufzugeben, um sich auf erneuerbare Energien zu konzentrieren. Der Übergang von der Kohle hin zu Solar- und Windenergie stellt eine bewusste Entscheidung dar, veraltete Energiequellen loszulassen.
Deutschland zeigt sowohl Stärke als auch Schwäche, wenn es darum geht, alte Wertschöpfung loszulassen. Während in bestimmten Industrien Fortschritte sichtbar sind, bleibt in anderen Bereichen, insbesondere bei der Digitalisierung und dem Innovationsmanagement, noch viel zu tun. Der Weg zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit liegt darin, mutiger und schneller veraltete Geschäftsmodelle und Technologien aufzugeben, um den Sprung zu neuen Wertschöpfungsketten zu schaffen.
Es ist klar, dass Wertschöpfung heute mehr ist als die bloße Produktion von Gütern. Sie bedeutet, Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt zu stellen, Prozesse effizienter zu gestalten und dabei die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen nicht zu ignorieren. In der globalen Dynamik müssen wir flexibel und mutig sein – und manchmal bedeutet das, loszulassen, um Platz für Neues zu schaffen. Dies ist eine Botschaft, die uns allen vor Augen führen sollte, dass wir nicht an alten Strukturen festhalten dürfen, wenn sie uns an der Entwicklung hindern.
Die Zukunft der Wertschöpfung liegt nicht nur in der Innovation, sondern in der Umsetzung. Wir müssen lernen, die Technologien und Ideen, die wir entwickeln, effizient und schnell in marktfähige Produkte zu überführen. Wertschöpfung schaffen, halten und loslassen ist ein kontinuierlicher Kreislauf. Es erfordert Mut, Innovationskraft, aktives Unternehmertum und Entschlossenheit. Wir sollten gemeinsam diesen Kreislauf gestalten und dafür sorgen, dass der Produktionsstandort Deutschland auch in Zukunft erfolgreich ist, dafür setzt sich das Institut für Produktionserhaltung seit vielen Jahren ein.
Bild: Susanne O´Leary, erstellt mit (c) DALL-E von OpenAI.

Der 𝗣𝗲𝘁𝗲𝗿 𝗗𝗿𝘂𝗰𝗸𝗲𝗿 𝗣𝘂𝗿𝗽𝗼𝘀𝗲 𝗦𝘂𝗺𝗺𝗶𝘁 2024 bringt vom 6. 𝗯𝗶𝘀 8. 𝗡𝗼𝘃𝗲𝗺𝗯𝗲𝗿 die neuesten Erkenntnisse und Entwicklungen im Management zusammen. Die dreitägige 𝗢𝗻𝗹𝗶𝗻𝗲-𝗞𝗼𝗻𝗳𝗲𝗿𝗲𝗻𝘇, widmet sich dem 𝗣𝘂𝗿𝗽𝗼𝘀𝗲 – dem Sinn und Zweck von Unternehmen – und wie er mit den neuen 𝗥𝗲𝗮𝗹𝗶𝘁ä𝘁𝗲𝗻 unserer Zeit verbunden ist. Der 𝗣𝗲𝘁𝗲𝗿 𝗗𝗿𝘂𝗰𝗸𝗲𝗿 𝗣𝘂𝗿𝗽𝗼𝘀𝗲 𝗦𝘂𝗺𝗺𝗶𝘁 bietet mit 35 𝗥𝗲𝗳𝗲𝗿𝗲𝗻𝘁𝗲𝗻, 10 𝗙𝗼𝗿𝗲𝗻 und 2 𝗣𝗼𝗱𝗶𝘂𝗺𝘀𝗱𝗶𝘀𝗸𝘂𝘀𝘀𝗶𝗼𝗻𝗲𝗻 ein umfangreiches Programm, das sich an Führungskräfte, Young Professionals und zivilgesellschaftliche Akteure richtet. Diskutieren Sie mit, wie Unternehmen in einer sich ständig verändernden Welt den Purpose als strategischen Leitfaden nutzen können.

Klaus Weßing
Vorstandsvorsitzender des Instituts für Produktionserhaltung e.V.

Holger Kleinbaum
ChatGPT Experte für Produktion und Mitglied im KI Forum von infpro